Testlogistik – eine Utopie

Die Öffnungen, die auf einmal ab einer stabilen Inzidenz unter 100 möglich sein sollen (während wir gerade voll in eine ansteckendere Welle reinlaufen, die eine Senkung der kritischen Inzidenzen bewirken sollte), sollen angeblich von einer nationalen Teststrategie ermöglicht werden. Allerdings muss diese Teststrategie erst noch ausgearbeitet werden. Dafür wurde eine Taskforce eingerichtet, besetzt mit zwei Politikern, die bisher nicht eben durch besonders kompetente und vorausschauende pragmatische Entscheidungen auffällig geworden sind. Also gibt es Öffnungen, schon jetzt und stufenweise über den März in den meisten Bundesländern, während noch niemand weiß, wie die Schnelltests, die der Bund finanzieren will, beschafft und an den Mann und die Frau gebracht werden sollen. Wie die Testung von Schüler*innen auch nur einmal die Woche (was zu wenig ist) gewährleistet werden soll. Oder wie die Ergebnisse dieser Tests zu irgendwas führen sollen jenseits von persönlicher Information. Derweil stehen Menschen in der Schlange über Stunden um Schnelltests beim Discounter zu kaufen. Und anstatt diese Testbereitschaft zu loben, erdreisten sich Landespolitikerinnen Aldi zu schelten, sie hätten den Markt leer gekauft. Was? Wenn Aldi das binnen Tagen nach Zulassung konnte, warum konnten Sie, Frau Schwesig, das dann nicht? Sein wir als besser froh, dass Menschen überhaupt endlich Tests bekommen können und so vielleicht zumindest manche Treffen im privaten damit sicherer werden.

Ok, treten wir kurz zurück und stellen uns vor, wie es sein müsste, damit eine Testoffensive Erfolg hätte, wenigstens ein wenig zur Eindämmung des Pandemiegeschehens beizutragen.

Damit Tests wirklich helfen, Infektionen zu verhindern, müssen sie 1. breit ausgerollt werden, 2. bei positivem Ergebnis zu Quarantäne führen, 3. registriert werden, 4. alle Kontakte eines positiven Falls verfolgt werden und 5. Testung möglichst unabhängig von Symptomen erfolgen. Außerdem muss das ganze von einer massiven Kommunikationskampagne begleitet werden, die darüber aufklärt, dass ein negatives Testergebnis nur eine Aussage über Ansteckungsgefahr, nicht jedoch über Infektion zulässt und auch nur am selben Tag wirklich aussagekräftig ist.

Warum ist es also nur von begrenztem Nutzen wenn jetzt alle sich mit Aldi-Tests versorgen und sich testen bevor sie die Omma treffen?

Nun. Einerseits gibt es natürlich einen Bias. Wer das Virus unterschätzt, wird auch nicht denken, dass es sinnvoll ist, sich zu testen bevor man 2-12 Personen in sein Wohnzimmer einlädt. Das heißt, es wird eine gewisse Neigung geben, dass ausgerechnet die Leute, die sich besonders risikoreich verhalten sich zusätzlich nicht regelmäßig testen. Und andererseits ist es zwar gut, wenn Leute nicht mehr ihre Omma und ihre Cousins anstecken, aber dadurch wird noch nicht automatisch auch jede Kontaktkette unterbrochen, die sie in den 3-7 Tagen vor dem Test angestoßen haben. Dafür muss das Ergebnis nämlich in die App und zum Gesundheitsamt und das muss dann auch in der Lage sein, die Kontakte nachzuvollziehen. Wir müssen auch damit rechnen, dass Menschen sich absichtlich nicht testen lassen aus Angst vor einem positiven Ergebnis und den damit einhergehenden Einschränkungen.

Wir wollen also Tests möglichst unabhängig von persönlicher Sicherheitseinschätzung, insbesondere jedoch für Situationen wo man potenziell echt viele Leute anstecken würde, Meldung der Ergebnisse, Kontaktnachverfolgung und Quarantäne für alle Kontakte – wegen B117 mit verlängerter Inkubationszeit ohne Freitesten.

Da fällt natürlich jeder, die die deutschen Politiker*innen und Gesundheitsämter in den letzten Monaten beobachtet hat, direkt auf, dass das ein wenig utopisch anmutet gegeben dass wir schon nicht schaffen, die Kontakte von denen zu verfolgen, die derzeit positiv getestet werden. Aber wir wollten ja darüber reden, wie es sein könnte, wenn man mal was richtig machen würde.

In dieser idealen Welt hätten wir genug Tests um jede und jeden 2-3 Mal pro Woche zu testen und würden das auch tun. Und zwar am besten da, wo wir Leute breit antreffen. Also z.B. in Betrieben, Schulen, ÖPNV, Fußgängerzonen und Baumärkten. Also morgens im Betrieb zuerst Abstrich, dann 15 Minuten warten, draußen, dann erst rein. Ist unbequem, ja. Muss deshalb in der Arbeitszeit sein. Das selbe in der Schule. Jeden Tag zwei Jahrgänge, zeitversetzt, die dann den Tag mit Pause auf dem Hof beginnen. Geht auf die Unterrichtszeit. Ja. Doof aber nötig. Man will in ein Geschäft? Nur mit tagesaktuellem Schnelltest. Hat man noch nicht? Dann schnell zur Teststation und die Wartezeit mit etwas Spazieren überbrücken. Puh, klingt nach einer ziemlich Entschleunigung des öffentlichen Lebens. Die nationale Teststrategie scheint auch eine nationale Entschleunigungsstrategie sein zu müssen. Na sowas.

Dann natürlich die Dokumentation des Testergebnisses. Sich selbst zuhause testen und dann entsprechend verhalten ist ja ganz nice. Aber nicht genug. Also braucht es individualisierte Barcodes über die das Testergebnis in die App kommt und dann da auch für 8-12 Stunden als Bescheinigung abrufbar ist. Das ist, wenn ich das richtig sehe, irgendwie für die PCR-Tests schon so vorgesehen, funktioniert aber nicht vernünftig und müsste außerdem massiv ausgeweitet werden. Dafür würde das aber ganz nebenbei die Nutzung der App boosten, denn wenn ich mein Ergebnis da hab um es in Geschäften und auf der Arbeit vorzuzeigen, dann lohnt sich die Installation. Für Menschen ohne App müsste ein Barcode gedruckt werden, den dann Geschäfte und Betriebe wiederum mittels App auslesen können und so die Bescheinigung erhalten. Oder halt eine Bescheinigung gedruckt. Klingt als hätte es Lücken? EGAL! Besser ein paar Leute fallen durchs Raster als alle laufen ungetestet oder zumindest undokumentiert rum.

Nächster Schritt. Wir haben überall mobile Testzentren. Vor Schulen, in Innenstädten, in großen Unternehmen oder eben da wo mehrere Unternehmen sind, in Einkaufszentren. Jeder Test hat eine ID, wird gescannt und später das Ergebnis in die App eingetragen oder ausgedruckt. Bei positivem Ergebnis wird das Gesundheitsamt benachrichtigt und man ist erstmal vorläufig in Quarantäne und zwar inkl. des ganzen Haushaltes, denn bis man es besser weiß ist man ja als ansteckend zu behandeln. Dann kommt jemand vorbei, der einen Abstrich macht für einen PCR-Test. Und die Kontaktverfolgungsmaschine läuft an. Und zwar so richtig. Rückwärts und vorwärts. Wo hat die Person sich angesteckt und wen hat sie potenziell angesteckt? Die werden alle sofort benachrichtigt. Über App, per Telefon, durch persönlichen Besuch des Testteams. Hauptsache schnell. Und alle erstmal in Quarantäne, immer der ganze Haushalt denn wir haben es jetzt mit B117 zu tun, da machen wir keine Gefangenen. Ja. Das braucht VIEL MEHR LEUTE. Und viel mehr digitale Lösungen . Und dass die Leute und die digitalen Lösungen auch ineinandergreifen. Wie kriegt man das hin? Mit Geld. Viel Geld. Und indem man auf alle Infrastruktur zurückgreift, die man hat. Also z.B. Betriebe verpflichten zu testen, zu dokumentieren und auch schon die PCR-Testung zu veranlassen und Quarantänen zu verhängen und Nichteinhaltung mit Bußgeld belegt. Genauso Geschäfte. Große Geschäfte kriegen Vorteile bei den Öffnungen wenn sie ein Testzentrum betreiben. Unternehmen, die ein Callcenter betreiben, aber gerade nicht so besonders viel zu tun haben, können Auftragnehmer des Gesundheitsamtes werden. Messe- und Veranstaltungsbranche massiv mehr einbinden als bisher – die können sowas nämlich.

Schulen und Kitas müssen täglich in Teilen getestet werden. Da muss das Ergebnis an die Eltern und die Schule gemeldet werden, das Kind hat keine App, d.h. es braucht hier auf jeden Fall Bescheinigung über auslesbaren Barcode oder schriftlich. Der muss dann vorliegen vor dem Einlass ins Schulgebäude. Am besten natürlich an jedem Präsenztag. Mindestens jedoch zweimal pro Woche. Ja auch in Kitas. Sonst klafft da nämlich eine Riesenlücke.

Und dann das i-Tüpfelchen: Statistik. Wenn deutlich mehr getestet wird, gibt uns das auch die Möglichkeit mehr zu wissen. Für Schnelltests sollte also eine extra Statistik aufgemacht werden. Am besten auch wiederum über die App. Sind Sie damit einverstanden, dass Ihr Ergebnis anonym in die Statistik eingeht? Teilen Sie uns ein bisschen was an Zusatzinformation mit? Wielang ist ihr letzter Test her? Wo wurden Sie getestet? Wieviele Kontakte hatte Sie in der letzten Woche? Geht ihr Kind in die Schule? Gehen Sie selbst an eine Arbeitsstelle? Da würde sich dann zeigen, wo z.B. regionale Lücken in der Testabdeckung sind. Oder welche Bevölkerungsgruppen untertestet sind. Das wäre ja gut zu wissen, was?

Klingt gut, was? Leider bedarf es dafür Politiker*innen, die sehr viel Geld in die Hand nehmen. Und die endlich akzeptieren, dass es keine valide Strategie ist, Fallzahlen kleinzureden und Grenzwerte hochzusetzen. Dass niemand geholfen ist, wenn wir nicht genug über das Infektionsgeschehen wissen. Lokale (nicht Landes!) Behörden, die das ganze pragmatisch und schlau implementieren. Bundesminister, die genügend Tests beschaffen und eine große Infokampagne fahren. Kultusminister*innen, die bereit sind Abstriche bei Unterrichtszeiten zu machen. Und natürlich sehr sehr viele zusätzliche Leute, die telefonieren, programmieren, dokumentieren, Abstriche machen, Daten eingeben, usw. Und die Akzeptanz, dass damit das Leben zwar normaler werden kann. Aber dass es Wartezeiten geben wird, der Durchsatz langsamer ist als üblich, dass wir kontrolliert werden und nicht überall eingelassen. Allerdings haben wir uns ja nun schon an einiges gewöhnt. Masken, Einkaufswagen desinfizieren, an Geschäften anstehen, für Tests bei Aldi stundenlang in der Schlange warten… wir können auch den Test vor dem Einkaufsbummel oder vor der Arbeit Alltag werden lassen.

Und am Ende braucht es dafür geringere Fallzahlen, denn mit über 10.000 Fällen am Tag, was bald wieder jeden Tag der Fall sein wird, ist das einfach nicht zu leisten.

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