Rentereien

Vor dem Wochenende wurden die Ergebnisse der Sondierungen zwischen SPD, Grünen und FDP in einem gemeinsamen Sondierungspapier veröffentlicht. Dieser Ausbund an Transparenz und neuem konstruktivem politischen Ton an sich fand, unter den – grob – Sympathisant*innen der drei Parteien, viel Lob. Ebenso wie die Grundrichtung des Papiers mehrheitlich gut aufgenommen wurde – mit Abstrichen wo offensichtlich ein Kompromiss nötig war (Tempolimit bei den Grünen, Mindestlohn bei der FDP, Steuererhöhungen bei der SPD) und einer latenten Oberflächlichkeit des Ganzen, die m.E. in der Natur der Sache liegt. Sondierung ist ja noch nicht Koalition, die müssen natürlich noch übers Eingemachte reden und gerade geht’s erstmal darum, zu zeigen, dass man konstruktiv zusammenarbeitet. Dennoch gab es im Papier eigentlich schon einige recht konkrete Punkte, die offenbar als rote Linien schon festgezurrt sind. Und eine davon scheint, in meiner – weitgehend links der Mitte angesiedelten – Bubble, erheblich für Unmut zu sorgen, ohne dass ich selbst je auf die Idee gekommen wäre, dass jemand das kritisch sehen könnte, zumal aus dem linken Spektrum. Die teilweise Kapitaldeckung der Rente. Ich lese, dass ausgerechnet das scheinbar die Aushöhlung der Interessen der Arbeitnehmer*innen darstellt. Dass damit auch noch die Rente dem bösen Kapital einverleibt werden soll und vieles derartiges mehr. Und wundere mich etwas. Mir erscheint seit vielen Jahren eine Kapitaldeckungskomponente in der Rentenversicherung unerlässlich. Und Kritik an dieser Ansicht kam bisher da eher von liberaler Seite, nämlich mit dem Argument „ineffizient“, „bindet unnötig Ressourcen“. Aber lehnen wir uns kurz zurück und betrachten die Geschichte der Rentenversicherung in Deutschland, die ja scheinbar in ihrer Umlagefinanzierung, orientiert am Beitragsaufkommen und beziehbar bitteschön möglichst ab 65 schon immer so war… Interessant ist dabei – aber das nur am Rande, dass obwohl wir doch im Mittel wissen, dass unsere Renten umlagefinanziert sind, dennoch der Anspruch auf eine Rente dieser und jener Höhe nach soundsoviel Jahren sich – meiner Wahrnehmung nach – aus einem gedachten „Rentenkonto“ ableitet, das eben doch irgendwie im Kopf da zu sein scheint, auf das man immer eingezahlt hat und das man jetzt Bitteschön auch nach langer Leistung zurückhaben will. Das liegt aber vermutlich auch an der Kommunikation, sowohl durch die Rentenversicherung selbst als auch durch die Politik.

Einschub: Wenn man Vorlesungen hält, neigt man ja dazu, Geschichten zum Stoff zu sammeln, um das zu lernende anschaulicher oder greifbarer zu machen. Die Einordnung des Rentensystems in seine Geschichte ist eine meiner erfolgreicheren Aufweckungsgeschichten für Grundstudiums-Studierende gewesen – die andere befasst sich mit dem völlig überraschenden Umstand, dass unser Geld gar keine Deckung in Gold hat… es ist erstaunlich wie lang sich Dinge nach ihrer Abschaffung in den Köpfen des kollektiven Bewusstseins halten…

Wie die meisten von uns sich vielleicht noch erinnern, geht die deutsche Rentenversicherung auf Bismarck zurück, der korrekt erkannte, dass man was gegen soziale Spaltung tun muss, um Revolution zu verhindern, wenn man erstmal anfängt mit der Industrialisierung und damit eine ganz neue Klasse, nämlich die Arbeiter*innen in seiner Gesellschaft unterzubringen hat. Leute also, die nicht im Rahmen von familiärer und Dorfgemeinschaft im Alter aus der (Subsistenz-)Landwirtschaft versorgt wurden, sondern ansonsten invalide und wenig nützlich den jüngeren Arbeiter*innen auf der Tasche und dem knappen Wohnraum lagen. Auch wurden Menschen halt durch und bei der Arbeit krank und brauchten dann Versorgung, weshalb Rehabilitation ebenfalls mit in der Rentenversicherung angesiedelt wurde. So wurde also zunächst nur für Arbeiter eingeführt, dass sie einen Teil ihres Lohnes (am Anfang waren das 2%) an die Rentenversicherung abführten, ebenfalls zahlten die Arbeitgeber mit gleichem Anteil in die Rentenversicherung ein. Und weil man auch recht sofort Renten und Reha-Leistungen ausschütten musste/wollte, wurde auch von Anfang an vom Staat bezuschusst. Die ersten Renten und insbesondere Reha-Leistungen wurden aus dem staatlichen Zuschuss bezahlt, denn die Rentenversicherung baute zunächst ein Vermögen auf. Dieses sollte etwa für 10(!) Jahre Ausschüttung der Ansprüche der Versicherten reichen. Das dürfte beim damaligen Rentenalter von 70 und der damaligen Lebenserwartung mehr als eine 100%ige Deckung der Ansprüche aus Vermögen gewesen sein. Und: das lag auch nicht einfach so auf Halde. Sondern das wurde von der Deutschen Rentenversicherung investiert. In Wohnungsbau und den Aufbau von Pflege- und Rehabilitationsinfrastruktur. Und zwar mit Gewinn. So dass die Rentenversicherung durchaus vermögend war – zumindest bis zum ersten Weltkrieg. Durch den Krieg gingen die Einnahmen zurück gleichzeitig ging der Rentenversicherung erheblich an Vermögen durch die große Inflation verloren während die Anzahl der Invalidenrenten sprunghaft anstieg. Dafür wurden die Angestellten mit in die Rentenversicherung aufgenommen als Einzahler aber auch als Empfänger natürlich. Der hohe Kapitalstock konnte zwischen den Kriegen nicht wieder hergestellt werden und unter Hitler wurde die Rentenversicherung zudem in ihrer Eigenständigkeit beschnitten und zur Finanzierung des Krieges herangezogen so dass nach dem zweiten Weltkrieg vom Kapitalstock der Rentenversicherung nichts mehr übrig war während gleichzeitig die Zahl der zu Versorgenden hoch war. Und erst hier: Vorhang auf für die Umlagefinanzierung.

Die Umlagefinanzierung der Renten war in den 1950er Jahren dann offiziell geworden und war zu diesem Zeitpunkt auch die genau richtige Lösung, denn es gab keine Rücklage. Zeitgleich wuchs aber die Zahl der Einzahlenden und das Aufkommen der Beiträge stetig an durch die Wirtschaftswunderjahre und Arbeitsmigration und in der Folge durch die Baby-Boomer-Generation. Also eine Situation in der vielen Einzahlende mit wachsenden Löhnen Rentner*innen mit einer (dank Entbehrung in und nach dem Krieg und den allgemeinen Arbeitsbedingungen) eher geringen Lebenserwartung gegenüberstanden. Was lag also näher als auf eine investierte Rücklage zu verzichten und einfach weiterzureichen, was man bekam? Die Umlagefinanzierung ist aber eben nicht per se das Grundgerüst der Deutschen Rentenversicherung gewesen und die Errungenschaft der sozialen Absicherung war zuvor bereits kapitalgedeckt aufgestellt worden. Man kann es auch so betrachten, dass in den 1950er und 1960er Jahren, die Arbeitsrendite sehr hoch war und die Rentenversicherung von dieser hohen Arbeitsrendite mit profitierte.

Nun hat sich bekanntermaßen sowohl die Wirtschaftsstruktur als auch die demographische Struktur weiterentwickelt. Wir stehen nun vor einer Situation in der einerseits die Einzahlergenerationen stetig kleiner werden während die Rentenempfänger*innen einfach nicht mehr 2-5 Jahre nach Verrentung versterben sondern jahrzehntelang Rente bekommen. Auch zahlen im Mittel halt viel weniger Menschen ab 14 in die Rentenversicherung ein als in den 1950er Jahren. Eine ganze Zeit lang konnten wir über Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit hier gegensteuern. Dafür haben wir mit der Wiedervereinigung einen Haufen Rentner hinzubekommen, die wir natürlich auch nicht einfach ohne Rente da stehen ließen. Zudem sind aber ein Stück weit heute Arbeitseinsatz und Ertrag deutlich entkoppelter als in den 1950er Jahren. Keinesfalls in jeder Branche. Aber gerade diejenigen Branchen die großen Beitrag zur Wirtschaftsaktivität haben, konnten ihre Arbeitsintensität kontinuierlich reduzieren. Und mussten das übrigens auch, weil schon länger klar ist, dass Fachkräfte knapp werden oder sind. Für die Breite ist zudem wichtiger geworden, dass wir nennenswerte Rendite aus Wissen und Innovation abschöpfen. Die natürlich über höhere mittlere Einkommen der Rentenversicherung schon auch helfen, aber über die Deckelung der Sozialversicherung bei hohen Einkommen eben auch nicht vollständig.

Es wackelt also nun ganz strukturell in der Rentenversicherung. Nicht erst seit gestern sondern schon seit längerem und im Grunde seit der Wiedervereinigung. Das wussten auch die letzten 3-4 Regierungen schon und haben eher Flickwerk betrieben. Anhebung des Renteneintrittsalters – hilft ein Stück, aber kompensiert höchstens zum Teil die höhere Lebenserwartung, nicht jedoch die schrumpfende Einzahlergeneration. Da gibt es dann verschiedene weitere Lochstopfmöglichkeiten:

Frauenerwerbstätigkeit erhöhen. Da treten wir – insbesondere bei dem Anteil der Vollzeit arbeitenden Frauen – ein wenig auf der Stelle. Außerdem ist fraglich, ob man da nicht langfristig dann gleichzeitig an die Wochenarbeitszeit aller Arbeitnehmer*innen ran muss. Auf jeden Fall aber an Betreuungsmöglichkeiten und oft vorliegende weniger sichtbare Hürden für Frauen im Berufsalltag. Das ist einer der Ansatzpunkte, den die Grünen im Programm stark vertreten, der aber vermutlich nicht reichen wird – auch weil daraus ja auch höhere zukünftige Versorgungsansprüche erwachsen, die dann aus der weiter schrumpfenden Nachfolgegeneration wieder zu decken wären.

Migrationsmöglichkeiten erhöhen. Das war natürlich unter den vergangenen 16 Jahren CDU-geführten Regierungen ein NoGo. Die Grünen und die FDP habe das beide im Repertoire. Allerdings muss man natürlich da dann auch genau passende Bewerber*innen akquirieren und die wiederum werden auch von anderen Staaten mit dem selben Problem umworben, die aber strukturell und kulturell schon weiter sind als wir. Alternativ könnte man natürlich jungen Geflüchteten großzügig Zugang zu Bildung ermöglichen und sie unkompliziert und schnell einbürgern. Aber auch da ist vom Status Quo zur Idealsituation noch ein langer Weg – den auch Teile der FDP und SPD nur unterschiedlich weit mitzugehen bereit wären. Das ist ein Teil der Lösung und wird daher ja auch von Grünen wie FDP programmatisch aufgegriffen. Die SPD war hier – wie die Gewerkschaften – lang zögerlich. Und da ja die dann zugewanderten Arbeitnehmer*innen auch wiederum Rentenansprüche erwerben, bin ich keinesfalls sicher, dass man dauerhaft im ausreichenden Maße Zuwanderung generieren könnte ohne dass dies zu größeren gesellschaftlichen Verwerfungen führen würde.

Man könnte die Beitragszahlendenbasis auch durch Eingliederung von Beamten und Selbständigen in die Rentenversicherung erhöhen. Allerdings würde man auch damit das demographische Problem nicht lösen, die Zahl der Beamten ist stetig zurückgegangen und das Durchschnittsalter der noch tätigen Beamten ist hoch. Ob hier dauerhaft viel gewonnen werden kann ist fraglich, zumal die Lebenserwartung von Beamten eher hoch ist. Außerdem würde die Zahlung von Rentenbeiträgen für alle Beamten die öffentlichen Kassen sehr viel kosten – unwahrscheinlich dass das derzeit denkbar ist. Die Einbindung der Selbständigen würde ein Stück weit einen Beitrag leisten, würde aber so manchen Selbständigen auch vor finanzielle Herausforderungen stellen vermutlich. Außerdem würde man dadurch unter Umständen die Einzahlungen von Selbständigen in private Rentenversicherungen reduzieren und damit eine quasi „natürliche“ Ergänzung durch kapitalgedeckte Rentenprodukte schwächen. Dennoch scheint sich eine Einbindung der Selbständigen in irgendeiner Form aus den Parteiprogrammen der Ampelkoalition abzuzeichnen. Die Grünen haben das über die Idee der Bürgerversicherung mit drin, aber auch die FDP möchte hier zumindest eine Pflicht, sich irgendwie rentenzuversichern und die Möglichkeit, dass das über die staatliche Rentenversicherung geschehen kann.

Steuerfinanzierung/Erhöhung des staatlichen Zuschusses: Das wäre das skandinavische Modell. Indem man die Rente direkt über die Steuer und nicht über die Rentenbeiträge deckt (oder zumindest stärker über die Steuer) beteiligt man in stärkerem Maße alle Einkommensformen an der Rentenfinanzierung und trägt damit bei Verschiebung der Einkommensquellen ein Stück weit zum Abbau des strukturellen Probleme bei. Das ist ein durchaus gangbarer Weg. Allerdings scheint mir das eine hohe kulturelle Hürde zu sein, es würde bedeuten, dass wir deutlich das Steueraufkommen erhöhen müssten. Das würde einerseits bedeuten, dass auch die Belastung für Arbeitnehmer*innen steigen würde, direkt über Einkommenssteuern aber z.B. auch über Konsum/Mehrwertsteuer o.ä. Zudem erfordert es auch, guten Zugriff auf das Kapital als Besteuerungsbasis zu haben, wenn man nicht wieder einseitig die schwindenden Arbeitnehmer*innen belasten möchte. Das gestaltet sich, wie wir am langen und noch nicht ausgestandenen Ringen um die Mindeststeuer im Rahmen der G20 sehen, einigermaßen schwierig. Man könnte das natürlich auch über Vermögenssteuern versuchen, das wäre sicher die links präferierte Lösung. Allerdings scheint das ja keine politische und auch Wählermehrheit in Deutschland zu haben und ist daher keine realistische Lösung. Es ist außerdem fraglich ob über eine Vermögenssteuer dauerhaft das Aufkommen generiert werden könnte, das zur Stützung der Rentenkassen nötig wäre.

Eine Erhöhung des staatlichen Zuschusses scheint ohnehin wahrscheinlich, schon um die gegenwärtige Rente sichern zu können, was zumindest bis 2025 bereits gesetzlich fest steht, viel mehr Spielräume für die Zukunft bestehen hier aber nicht, zumindest nicht ohne massive Steuererhöhungen.

Man kann sich natürlich noch alle möglichen sozialistischeren Lösung ausdenken. Verstaatlichung des Kapitals. Hohe Mindestlöhne. You name it. Aber all das wären realpolitisch keine gangbaren Wege, so dass ich mir hier spare, diese einzuordnen.

Es bleibt daher – letztlich in Kombination mit höherer Frauenerwerbstätigkeit, Einbeziehung der Selbständigen und mehr Zuwanderung, was wir auch einfach brauchen um weiterhin produktiv zu sein – die kapitalgedeckte Rente. Am Ende ist die Einführung von Riester- und Rürup-Rente eine erste Entwicklung in diese Richtung, wenn auch freiwillig und privat organisiert, so geht es auch hier darum zusätzlich zur Umlagerente eine Kapitaldecke aufzubauen, die dann die Lücken der gesetzlichen Rente schließt, die durch Erhöhung des Rentenalters und Nullrunden bei der Rente ja schon heute und auch schon vor 10 Jahren spürbar waren und nur absehbar immer größer werden. Nun ist gerade die Riesterrente einfach konzeptionell fragwürdig, war in der Umsetzung vor allem eine Subvention für sonst nicht wettbewerbsfähige Anlageprodukte und reicht einfach nicht. Auch gibt es eben durchaus nennenswerte Einkommensschichten, die auch die sehr geringen Riester-Ansparsätze einfach nicht ansparen können und aber dennoch natürlich auch eine auskömmliche Rente haben sollten. Was jetzt im Raum steht ist natürlich nicht, in Kürze auf eine volle Kapitaldeckung für 10 Jahre Rentenaufkommen zurückzukommen, wie zu Bismarcks Zeiten. Sondern einen Teil der Rentenbeiträge anzusparen und anzulegen. Wir reden hier ja gerade keinesfalls von einer vollen Kapitaldeckung. Die Vorteile liegen m.E. auf der Hand. Durch die Investition des Vermögens der Rentenversicherung profitiert die Rentenrücklage auch von Kapitalerträgen und Innovationsrendite, damit ist die Schrumpfung der Einzahlenden ein Stück weit entkoppelt vom finanziellen Spielraum der Rentenkasse, unterstellt dass wir weiterhin schaffen genug Arbeitnehmende zu haben um produktiv zu sein (und außerdem weiterhin moderates Wachstum und moderate Inflation unterstellen).

Nun ist die Kritik, die ich jetzt schon vielfach gelesen habe, dass durch die Kapitaldeckung der Rente, die Solidarität unter Arbeitnehmer*innen aufgeweicht wird und die Interessenlage des Kapitals damit quasi künstlich auch zur Interessenlage der zukünftigen Rentner*innen wird. Also eine strategisch-politische Schwächung der Arbeitnehmer*innen durch die Hintertür. Ich vollziehe das Grundargument nach, es stört mich aber. Einerseits weil es ohnehin mit der Solidarität unter weiten Teilen der Arbeitnehmer*innenschaft nicht mehr besonders weit her ist. Sehr große Teile derer, die genau von der mangelnden sozialen Absicherung betroffen sind oder sein werden, grenzen sich dennoch innerlich stark vom Arbeiterklassenbild ab, verstehen sich als Mittelschicht und haben keine Interesse an Arbeitskampf oder daran als Arbeiter*innen verstanden zu sein. Andererseits ist halt ohnehin fraglich ob wir weiter in dieser Dichotomie denken sollten. Wir benötigen heute sehr viel mehr als Arbeit und Kapital um zukunftsfähig produktiv zu sein. Ressourcen, Energieautonomie, Innovation und Technologie. Menschen reden nicht umsonst und gar nicht mal so unernst über eine Robotersteuer weil die Beiträge zu Produktion und Wertschöpfung letztlich ganz neu gedacht werden neu gedacht werden müssen. Ich halte das Arbeit-gegen-Kapital-Argument daher für stark verkürzt und den Wertschöpfungsrealitäten nicht angemessen. Natürlich wäre es aus solidargesellschaftlicher Sicht schön wenn man einen direkten Beitrag der Kapitalrendite in die Rente erreichen könnte. Aber das ist gegeben die hohe Mobilität von Kapital und die gegenwärtigen hohen Investitionsanforderungen an Unternehmen einfach nicht realistisch und vor allem gegeben das Wahlergebnis auch offenbar nicht politisch durchsetzbar. Umgekehrt sehe ich einen Kapitalfonds der Rentenversicherung nicht als den Untergang der Arbeitnehmer*innenrechte.

Es gibt eine Reihe valide Einwände gegen kapitalgedeckte Rente. Diese betreffen zum Einen die Frage, wie man einen Kapitalfonds aufbaut. Denn der Aufbau eines Kapitalfonds neben dem weiteren Unterhalt der Umlagerente für die gegenwärtige Rentnergeneration erfordert eine temporär erhöhte Sparquote. Nun haben wir in Deutschland eh schon eine latent hohe Sparquote und geringe Konsumneigung, da wäre eine weitere Erhöhung evtl. schon kritisch für die derzeit angeschlagene Binnenkonjunktur. Hier sehe ich vor allem eine Frage von Zeithorizont und Ausmaß. Natürlich wird man nicht in kurzer Zeit zu einem Kapitalfonds für 10 Jahre Rentenzahlungen kommen, allein schon weil die Rente auch gemessen am heutigen Lebensstandard signifikant höher ist, ebenso wie die Lebenserwartung. Man wird eher über einen längeren Zeithorizont einen Rentenfonds aufbauen, der dann in einigen Jahrzehnten in der Lage sein wird, die Lücken in der Umlage zu schließen. Die Parteien der möglichen Ampelkoalition schwanken hier, ob der Aufbau eines Rentenfonds freiwillig oder als Teil der Pflichtversicherung geschehen soll. Auch ist nicht ganz klar ob hierfür vielleicht doch Beitragserhöhungen möglich wären. Man könnte, so nur meine Ideen, um eine beitragsneutrale Kapitalbildung zu stützen z.B. das Verbot der Rücklagenbildung für die Rentenkasse aufheben und Überschüsse investieren. Oder ohnehin zu tätigende notwendige staatliche Investitionen über den Rentenfonds tätigen und diesem dann die zukünftige Rendite bereitstellen – z.B. in den Bereichen Wohnungsbau und Energieinfrastruktur.

Der andere wesentliche Schwachpunkt einer kapitalgedeckten Rente ist genau der, den wir historisch schon beobachten konnten: Was geschieht, wenn durch eine Krise im Anlagenmarkt das Kapital des Fonds wesentlich schrumpft. Dafür müsste nicht gleich ein Krieg und ein faschistischer Diktator daherkommen, eine Finanzkrise würde, je nach Anlagestrategie des Fonds, schon reichen. Auch hier scheint es mir eine Frage von Größenordnung und Ausgestaltung. Der schwedische Staatsfonds, der schon länger zur Stützung der Rente aufgesetzt wurde, hat über die Zeit seiner Existenz eine durchaus ansehnliche Rendite erwirtschaftet, auch über diverse Krisen der letzten Jahre hinweg. Andererseits lässt die eher suboptimale Performance der Landesbanken in der Finanzkrise nicht unbedingt Vertrauen in die Anlagekompetenz öffentlich-gesteuerter Institutionen in Deutschland wachsen. Man müsste das halt schon schlau und krisensicher managen … das ist der Punkt wo ich ehrlich gesagt die größten Zweifel habe.

Am Ende stellt eine kapitalgedeckte Komponente eine von mehreren notwendigen Komponenten dar, die wir alle brauchen, wenn wir in 30 Jahren noch lebenssichernde Rentenniveaus ausschütten wollen. Idealerweise sollte das aus meiner Sicht kombiniert mit Krisen- und Klimafestigkeit gedacht werden und entsprechend aufgesetzt. Verschiedene der oben genannten Lösungsansätze plus eine kapitalgedeckte Säule können vielleicht Hand in Hand unsere Rentenversicherung von 1957 ins 21. Jahrhundert bringen. Ich würde lieber über eine sozial- und klimagerechte Ausgestaltung diskutieren und sehen dass die Koalition sich an diesem Punkt auch nichts schenkt, sondern versucht hier eine nachhaltige und tragfähige Lösung zu finden, die die Ansätze der einzelnen Koalitionspartner kombiniert (ein sowohl-als-auch und kein entweder-oder), als ganz generell eine Kapitalrente als Neoliberales Teufelszeug abzutun. Das strukturelle Problem der Rente ist nicht kleinzureden und ist viel zu lang verschwiegen worden. Die Reform muss jetzt angegangen werden und zwar mit den politischen und wirtschaftlichen Realitäten, die wir haben. Wenn überraschend in vier Jahren 3/5 der Deutschen links der Mitte wählt, können wir ja nochmal über Vermögenssteuer und Anhebung des Spitzensteuersatzes für die Rente reden 😉

Quellen und Weiterlesen:

Economics 101: Wertschöpfung

Manchmal laufen Twitter-Diskussionen ja irgendwie aus der Zeichenbegrenzung heraus. So heute geschehen. Eigentlich drehte sich die Diskussion um einen Artikel zum Gender Pay Gap im FAZIT-Blog, der darauf abzielt, den durch Berufswahl zu erklärenden Teil des Gender Pay Gaps auseinander zu nehmen. Und sich mit der Frage beschäftigt, ob es frauentypische Berufswahl gibt.

Hier kam die Frage auf, warum denn eigentlich ausgerechnet die frauentypischen Berufe schlecht bezahlt werden, und wieso es denn nun die Lösung sein soll, dass alle Frauen in MINT-Berufe gehen, um die Gehaltslücke zu schließen.

Meine These aus der Hüfte dazu war

Hierzu erhielt ich die Antwort von @GabiausS

 

Und daraufhin entspann sich eine lange Diskussion darum, warum die Wertschöpfung im Care-Bereich geringer sein sollte als im Bereich anderer Dienstleistungen, es wurde richtig gefragt, warum z.B. in der Wissenschaft, die ja auch keinen direkten Mehrwert im Sinne von Gewinn abwirft, die gezahlten Gehälter wesentlich besser sind und das sogar obwohl es ein Überangebot an Wissenschaftler*innen gibt, während es einen Mangel an Pflegekräften gibt.

Nun. Ich möchte das hier kurz mal definitorisch aufdröseln, obwohl – so glaube ich – alle Beteiligten in der Diskussion am Ende prinzipiell das gleiche meinen.

Buchhalterisch bezeichnet die Wertschöpfung in der Produktion eines Endproduktes, den Anteil am Gesamterlös des Endproduktes, der auf den Einsatz von Arbeit und Kapital entfällt. Das heißt: Gesamterlös des Endproduktes abzüglich aller Kosten für Vorprodukte und Abschreibungen = Wertschöpfung. Diese stellt dann den Kuchen, der auf Entlohnung der Arbeitskräfte und des Kapitals aufgeteilt wird. In vielen Branchen drehen sich Tarifverhandlungen in erster Linie darum, wie der Kuchen anteilig auf Arbetitnehmer und Arbeitgeber (=Kapitaleigner) aufgeteilt wird. Also wieviel des geschaffenen Mehrwertes die Arbeitnehmer als Gehalt erhalten und wieviel als Gewinn an den oder die Eigentümer ausgeschüttet wird. Diese Frage spielt in den von uns diskutierten Care-Berufen, also in den Bereichen Kranken- und Altenpflege und Kinderbetreuung eine weitgehend untergeordnete Rolle und ebenso im ebenfalls genannten Bereich der Wissenschaft. Warum? Weil es sich weitgehend um nicht-gewinnorientierte Bereiche handelt. Ganz stimmt das natürlich nicht, der Bereich der häuslichen Pflege, die gesamte niedergelassene Ärzteschaft und auch niedergelassene Therapeuten und Hebammen arbeiten privatwirtschaftlich. Allerdings ist dennoch Bereicherung der Eigner von Pflegediensten, Physiotherapiepraxen oder auch Altenheimen zulasten ihrer Angestellten ein eher nicht so weit verbreitetes Phänomen und zwar genau deshalb, weil der zu verteilende Kuchen, also die Wertschöpfung, ohnehin eher gering ist. Und zwar geringer sowohl als im öffentlichen Sektor (Wissenschaft, Verwaltung, Politik) als auch erst recht im privaten Dienstleistungsbereich.

Was?? Soll das heißen, eine Pflegekraft, Erzieherin oder Hebamme trägt weniger Wert bei, als ein Finanzbeamter, eine Wissenschaftlerin, ein Hotline-Mitarbeiter oder eine Bankangestellte? Tja. Buchhalterisch ja. Weil Care ganz offenbar weniger Erlös erwirtschaftet als Investmentbanking und – und das verwundert zunächst – auch als Lehre und Forschung. Warum ist das so?

Betrachten wir es zunächst nüchtern, lassen wir also außer acht, wie der gesellschaftliche Beitrag dieser Berufe ist und wieviel sie wert sein *sollten*. Zunächst mal nur gucken, wie diese Märkte funktionieren, dann überlegen warum und was daran zu ändern wäre.

Es ist hier dienlich erstmal zu unterscheiden in Sektoren die prinzipiell in irgendeiner Form die öffentliche Hand als Nachfrager haben und solche, die vollständig im privaten Bereich agieren. Denn im Bereich der vollständig nicht-regulierten Dienstleistungen, da wird vermutlich tatsächlich das gesamte Gehalt aller Beschäftigten, die eine Dienstleistung produzieren etwa dem entsprechen, was sie an Wert zu dieser Dienstleistung beitragen. Der Wert er Dienstleistung wird beeinflusst davon, wie hoch die Nachfrage danach ist und wie stark die Konkurrenz zwischen den Anbietern der Dienstleistung. D.h. zum Beispiel ein Fonds-Manager bewegt sich in einem Markt mit einer recht hohen Nachfrage aber ob ein Unternehmen einen Aufschlag auf seine Kosten als Gewinn realisieren kann, hängt davon ab ob es unter vollständiger Konkurrenz agiert. In diesem Fall wird das Kalkül des Unternehmens so aussehen: Es wird die Dienstleistung in dem Markt anbieten, wenn es gerade Nullgewinn erzielt, das heißt wenn der Einsatz an Material und Vorprodukten plus der Einsatz an Gehältern plus Abschreibungen und Rücklagen für Investitionen genau dem Erlös entspricht, den es erwirtschaftet. Liegt der Marktpreis darunter, kann das Unternehmen natürlich versuchen seine Kosten, evtl. auch die Arbeitskosten, zu senken oder es scheidet aus dem Markt aus. In sehr vielen Fällen wird aber der private Markt ein Oligopol sein oder eine Situation monopolistischer Konkurrenz, d.h. es gibt nur wenige Anbieter oder jeder Anbieter hat eine leicht andere Produktvariante und dadurch keinen wirklich perfekten Konkurrenten. In diesen Fällen kann ein privater Anbieter sein Kalkulation so vornehmen, dass er einen Preis realisiert, der sich als Kosten (inkl. Arbeitskosten) plus einen Gewinnaufschlag ergibt. Und dieser Fall heißt dann eben auch, dass ein Unternehmen wenn es teurere aber z.B. bessere Arbeitnehmer einstellt, dies in den Preis weitergeben kann, ohne dadurch aus dem Markt auszuscheiden.

In den diskutierten Bereichen Pflege und Wissenschaft ist das aber sehr grundsätzlich anders. Fangen wir mit Care an. Hier ist es fast durchgängig so organisiert, dass private oder halb-staatliche Anbieter die Dienstleistung produzieren, aber diese zu festen Sätzen abgeben müssen. Diese Sätze werden entweder direkt von der öffentlichen Hand vorgegeben (Kinderbetreuung) oder durch das Gesamtbudget der Kranken- und Pflegeversicherung letztlich determiniert und dann eben gemäß Tarifkatalog und Umrechnungsfaktoren in Sätze für jede einzelne Pflege- und Therapieleistung übertragen. Dabei haben zwar die Anbieter theoretisch via Verband eine Aushandlungsmöglichkeit, am Ende ist der Verhandlungsspielraum aber marginal, weil das Gesamtbudget feststeht und weil es eben letztlich nur einen Nachfrager gibt – der einzige Ausweg nicht von der Kranken- oder Pflegeversicherung den Preis der Dienstleistung diktiert zu bekommen, ist nur noch privat anzubieten und hierfür ist der Markt für private Pflegeleistungen offenbar nicht groß genug. Entsprechend sind Anbieter von Care-Dienstleistungen auf jeden Fall Preisnehmer. Und sie erhalten eben einen sehr geringen Preis für ihre Dienstleistung. Der Erlös, z.B. für den privaten Pflegedienst ergibt sich dann eben als Anzahl der Patienten mal Pauschale und hieraus ergibt sich dann nach Abzug der Kosten für Benzin, Verbrauchsmaterial und Räumlichkeiten die Wertschöpfung. Diese verteilt sich dann wiederum auf Gehälter der Pflegekräfte und Ertrag für den Eigentümer des Pflegedienstes. Und da die Fallpauschalen gering sind, ist der Erlös gering und deshalb sind die Gehälter (und auch die zu erwirtschaftenden Gewinne) gering. Das heißt der Satz oben aus dem BWL-Studium stimmt sachlich. Zur Bewertung kommen wir, wie gesagt, später.

Erst noch die Wissenschaft. Ein direkter Vergleich mit der Pflege ist etwas haarig, weil die Anbieter der Dienstleistung ‚Forschung und Lehre‘ zwar nominell auch unabhängige Einrichtungen (Forschungsinstitute und Universitäten sind), aber ein Großteil der Wissenschaftler *innen Landesangestellte und diese wiederum tariflich bezahlt werden, der Tarif gilt aber nicht *nur* für Wissenschaftler*innen. Das macht das ganze etwas hinkend. Aber der Grundgedanke, dass die Wertschöpfung buchhalterisch im Bereich der Wissenschaft höher sein muss, wenn die Gehälter dort ja höher sind, stimmt. Es funktioniert etwa so: auch hier ist am Ende der Staat der Nachfrager. Er legt das Gesamtbudget fest allerdings über verschiedene indirekte Wege, hauptsächlich über die Grundfinanzierung der Universitäten durch die Bundesländer, die Drittmittelfinanzierung durch Forschungsförderung der Länder, des Bundes und der EU, sowie über die indirekte Finanzierung der Forschung durch Finanzierung der Forschungsgesellschaften und der DFG. (Das Ganze ist durchaus komplexer als hier stark verkürzt dargestellt, dies sei mir an dieser Stelle hier verziehen). Sowohl im Rahmen der Grundfinanzierung als auch im Rahmen von Projektfinanzierung wird dabei *direkt* berücksichtigt wieviele Personen eine bestimmte Dienstleistung erbringen und in welcher Tarifstufe diese bezahlt werden – das schafft schonmal etwas weniger Druck auf die Gehälter, denn zumindest rechnerisch ist damit klar festgelegt, dass ein bestimmtes Gehalt auf jeden Fall gezahlt werden kann. Zusätzlich ist es aber eben so, dass für die Dienstleistung ‚Lehre und Forschung‘ insgesamt ein größeres Budget durch die öffentliche Hand zur Vefügung gestellt wird, als für die Dienstleistung ‚Pflege‘ oder ‚Kinderbetreuung‘. Dadurch ist der Kuchen nach Abzug der Kosten im Bereich der Wissenschaft eben größer, die Wertschöpfung liegt höher und es können höhere Gehälter gezahlt werden. Nebenbei sei angemerkt, dass hier aber zusätzlich tatsächlich gar keine Gewinne gemacht werden – das macht vermutlich schon auch etwas aus. Der feine Unterschied, dass in der Budgetkalkulation für wissenschaftliche Finanzierung den Gehältern Rechnung getragen wird, während dies in der Kalkulation der Pflegepauschalen nur sehr indirekt geschieht sei hier durchaus angemerkt – ich glaube, das hat einen gesellschaftspolitischen Hintergrund.

Halten wir aber zunächst fest: eine Dienstleistung kann noch so super produktiv erbracht werden und auch einen hohen (immateriellen, gesellschaftlichen, whatever) Wert haben. Wenn dafür kein hoher Preis gezahlt wird, hat sie eine geringe Wertschöpfung (es wird nur wenig Wert abgeschöpft) und die Arbeitnehmer*innen, die sie erbringen, aber auch die Kapitaleigner, die sie anbieten, werden gering entlohnt werden.

Nun also der Kern: Warum ist das so? Ist es gesellschaftlich richtig und ethisch korrekt, als öffentliche Hand zu unterstellen, dass Wissenschaft, Schulbildung und auch Verwaltung mehr wert sind als Kinderbetreuung, Alten- und Krankenpflege? Wohl kaum. Dennoch erfahren die Bereiche eine unterschiedliche Wert*schätzung*, die sich dann am Ende in ganz nüchtern betrachtet auch unterschiedlicher Wert*schöpfung* niederschlägt.

Hierzu zwei Thesen.

Einerseits erfahren die Care-Dienstleistungen eine geringe Wertschätzung, weil es sich dabei um Dienstleistungen handelt, die vor noch gar nicht so langer Zeit gar nicht monetarisiert wurden. Pflege und Kinderbetreuung fand unentlohnt zuhause und in Klöstern und karitativen Einrichtungen (dort durch Freiwillige sowie Ordensfrauen) statt. Das heißt in der Wahrnehmung der Gesellschaft, sind diese Dienstleistungen *eigentlich* umsonst und müssen nun unverschämterweise doch irgendwie bezahlt werden. Hiermit verbunden ist die Tatsache, dass diese Dienstleistungen traditionell von Frauen (zuhause und im Orden) erbracht wurden, oft sogar zusätzlich zu einer beruflichen Tätigkeit im formellen Arbeitsmarkt. Denn auch wenn gar nicht so sehr dahinter stünde dass ‚Frauenarbeit nix wert ist‘, was ich gar nicht per se unterstellen möchte, so läuft es etwa so ab, denke ich: Durch den demographischen Wandel können Care-Dienstleistungen schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr vollständig und heute nahezu kaum noch zuhause privat erbracht werden. Weil es sich aber zuhause eher um Frauenarbeit handelte, ergreifen nun, da diese Dienstleistungen mehr und mehr zu Berufen wurden, immernoch vor allem Frauen diese Berufe. Weil wir eben Rollenbilder reproduzieren, unsere Hirne sind entsetzlich langsam darin, sich veränderten gesellschaftlichen Wahrheiten anzupassen, da gehen schon mal ein paar Generationen ins Land. Der Beginn dieser Entwicklung liegt weit im letzten Jahrhundert, vermutlich mindestens in der Nachkriegszeit. Zu dieser Zeit waren Frauen aber eben selten Hauptverdienerinnen, sondern oft Zuverdienerinnen. Das heißt die ursprünglich kostenlose Dienstleistung konnte ohne großen Schaden relativ gering entlohnt werden, da die niedrigen Gehälter ja keine Familien unterhalten, sondern nur ein bisschen das Familieneinkommen ergänzen sollten (auch gab es nach wie vor zunächst auch noch relativ viele Ordensfrauen in diesem Bereich – das kann man heute noch schön in Entwicklungsländern beobachten). Das heißt auch mit Monetarisierung des Care-Bereichs war es lange gesellschaftlich akzeptabel, den Bereich schlecht zu bezahlen. Erst mit starkem Wachsen des Bedarfs durch die alternde Gesellschaft, deutlich mehr allein verdienenden Frauen und -nichtzuletzt- einem steigenden Anteil von Männern in diesen Berufen, fällt diese deutlich zu geringe Wertschätzung nun auf. Und diese Erkenntnis übersetzt sich bisher aber nicht in entsprechend höhere Budgetierung, höhere Beitragssätze oder steuerliche Ko-Finanzierung, die zu einer ebenfalls erhöhten Wert*schöpfung* beitragen könnten.

Die zweite These wird nicht jedem gefallen, denn sie unterstreicht die Bedeutung von Konkurrenz. Denn: es gibt keine zwischen-staatliche Konkurrenz um das beste Pflege- und Gesundheitssystem. Eher im Gegenteil, sonst kommen nachher noch Leute von woanders und wollen neben unserem Sozialsystem (sic) auch noch unser Gesundheitssystem fluten. Wo kämen wir denn da hin? Es gibt aber durchaus zwischen-staatliche Konkurrenz um guten wissenschaftlichen Output. Wissenschaft bringt zwar oft gar keinen und sicher keinen unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen, sie gilt aber als zukunftsrelevant für den Standort, weil die Hoffnung besteht einen Teil der wissenschaftlichen Erkenntnisse irgendwann zu marktreifen Produkten werden zu lassen, die dann hier und nur hier produziert werden. Innovation Made in Germany! Pflege hingegen, verspricht nicht, irgendwann in Zukunft einen Markt zu bedienen. Sie hat einen gesellschaftlichen Nutzen, dieser ist sogar unmittelbar. Sie trägt vermutlich auch indirekt zur Produktivität des Landes und auf jeden Fall im besten Fall zur Wohlfahrt bei. Aber sie verspricht keinen Wettbewerbsvorteil im Standortwettbewerb. Und also entscheidet sich der Staat in Anbetracht knapper Ressourcen, diese auf den Bereich zu werfen, wo er Vorteile gegenüber anderen Staaten zu erwirtschaften hofft.

Und wie drehen wir das jetzt, ohne auf die Wende in den Köpfen nochmal 100 Jahre zu warten?

p.s.

Weil mir der Grundtenor des FAZIT-Textes nicht wirklich schmeckt, hier ein anderer Blickwinkel auf das gleiche Thema.

 

 

Economics 101: Was ist das BIP und wofür brauchen wir das?

Zum Jahreswechsel werden ja gern mal Wachstumsprognosen veröffentlicht. Den Anfang machen hier in Deutschland die Gemeinschaftsprognose der Wirtschaftsforschungsinstitute, es folgt das Jahresgutachten des Sachverständigenrates. Aus beiden durchaus dicken Publikationen wird medial oft fast nur die Erwartung über das BIP-Wachstum verwertet. Jüngst retweetete ich eine Grafik der Wachstumsraten für 2018 im internationalen Vergleich vom economist. Auch hier ein starker Fokus auf das BIP.

Die Frage folgt dann oft auf dem Fuße und bietet sich ja auch an: Warum ist denn BIP-Wachstum wichtig.

Nun. Diese Frage ist gewissermaßen eine Glaubensfrage und ich werde die verschiedenen Glaubensrichtungen vielleicht mal bei Gelegenheit aufdröseln. Aber vor die kritische Auseinandersetzung gehört das Handwerkszeug. Deshalb erstmal: was ist das BIP, wofür ist das gut, was wächst da überhaupt und wer hat da was von?

Beginnen wir mit der Definition: Das Bruttoinlandsprodukt misst den Wert aller Waren und Dienstleistungen, die auf dem Gebiet eines Landes im Bemessungszeitraum produziert wurden.

Klingt einfach? Der Teufel steckt im Detail.

Bei der Erhebung des Wertes aller produzierten Güter und Dienstleistungen darf nämlich nichts doppelt gezählt werden. Wenn also ein Vorprodukt in den Wert eines Endproduktes eingeht würde es zweimal gerechnet. Um diesem Problem Rechnung zu tragen, wird das BIP auf vier verschiedene Weisen erhoben:

1. Als Wert aller zum Endverbrauch produzierten Waren

2. Als Wert der auf allen Produktionsstufen geschaffenen Mehrwerte

3. Als Summe der in der Produktion ausgeschütteten Einkommen

4. Als Summe aller verschiedenen Nachfragekomponenten

Theoretisch müssen all diese Berechnungen zum gleichen Ergebnis führen, denn:

In der Praxis gibt es zwischen den Erhebungsarten natürlich erhebliche Abweichungen, denn die verschiedenen Statistiken werden an vollkommen unterschiedlichen Stellen erhoben und sind überhaupt nicht konsistent.

Nun haben wir damit bisher nur das sog. nominale BIP, also der Wert der produzierten Güter. Wachstumsabschätzungen auf Basis dieses Maßes sind insofern nicht sehr gehaltvoll, da der Wert der produzierten Güter steigen kann durch a) eine Erhöhung der Menge oder b) eine Erhöhung der Preise. Daher wird zudem das reale BIP berechnet, das um die Preisentwicklung bereinigt wird. Auf Basis dieses Maßes kann dann eine Abschätzung gemacht werden, ob eine Volkswirtschaft im Bemessungszeitraum mehr produziert hat als im Referenzzeitraum. Hat eine Volkswirtschaft bei gleichem Einsatz von Arbeit und Kapital mehr produziert, so ist sie produktiver geworden.

Um einen Vergleich über Länder oder auch über die Zeit mit einem längeren Horizont anstellen zu können, wird das BIP außerdem i.d.R. in Pro-Kopf-Zahlen umgerechnet. Denn natürlich macht es wenig Sinn zu vergleichen, ob die Handvoll Einwohner von San Marino genauso viel produziert haben, wie die über 80 Millionen Deutschen.*

Ja und warum wollen wir das wissen?

Das Bruttoinlandsprodukt wird heute oft als Wohlfahrtsmaß interpretiert und als zentrale politische Zielgröße verstanden. Betrachtet man seine Geschichte, ist die Verwendung dieses Maßes eher der beschränkten Datenverfügbarkeit und dem Mangel an messbaren Alternativen geschuldet. Die ökonomischen Vorreiter der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung waren eigentlich an einem Maß für das Volkseinkommen interessiert. Dieses hätte, so der (etwas zu kurz gegriffene) Gedanke, die Wohlfahrt des Landes abgebildet. Allerdings gab es hier große Hürden. Für ein aggregiertes Einkommensmaß hätten die Unternehmer die Arbeitslöhne und Arbeitsstunden, sowie ihren eigenen Kapitalertrag an eine statistische Erfassungsstelle melden müssen. Das wollten diese nicht, aus Sorge, das könne die Gewerkschaften auf den Plan rufen. Das Erfragen des Produktionswertes bot weniger politischen Zündstoff. Und enthielt ja – siehe oben – die gewünschte Information mit.

Während Ökonomen ein Wohlfahrtsmaß im Sinn hatten, ging es Politikern bei der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um eine zuverlässige Abschätzung der Steuerbasis. Nicht umsonst steht die Etablierung der statistischen Erfassung der wirtschaftlichen Leistung in Großbritannien und den USA im zeitlichen Zusammenhang mit der Beteiligung an Kriegen und diente damit zur Abschätzung der mobilisierbaren Mittel zur Kriegsfinanzierung. Immernoch stellt die Prognose des BIP eine wesentliche Komponente der Steuerschätzung dar.

In Deutschland wurde die Erfassung des Bruttoinlandsprodukts im Rahmen des Marshall Plans eingeführt, um ein Erfolgsmaß für den Plan zu haben. Auf dieser historischen Bedeutung als Finanzierbarkeitsmaß bzw. Erfolgsmaß fußt auch die heutige Verwendung des BIP als eine der wirtschaftspolitischen Zielgrößen. Längst sind jedoch weitere hinzugekommen: Arbeitslosigkeit, Inflation, Staatsverschuldung, Rentenniveau, Nettoexporte, Geldwertstabilität – um nur einige zu nennen. Die Politik ist, auch wenn es medial oft so klingt, nicht allein auf das BIP konzentriert. Zumal das BIP nicht direkt politisch beeinflussbar ist und auch indirekt andere Zielgrößen sehr viel eher politisch zu managen sind.

Als Wohlstandsmaß hat das BIP durchaus seine Schwächen. Es beinhaltet keinerlei Aussage über die Verteilung/Gerechtigkeit. Auch korreliert es zwar mit der Zufriedenheit, aber nicht 1:1.** Selbst wenn nur die finanzielle Situation eines Landes über die Wohlfahrt entscheiden würde, was nachweislich nicht so ist, so fehlen dem BIP gerade auch langfristigere Aspekte wie die Vermögensentwicklung, das Niveau der sozialen Sicherung, die Nachhaltigkeit mit der dieses Produktionsniveau aufrecht erhalten werden könnte.

Auch als Maß für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes ist das BIP umstritten. So geht vieles, was durchaus einen Wert für die Wohlfahrt hat nicht in das BIP ein, alles nämlich, was umsonst bereitgestellt wird – Care Arbeit, Ehrenamt, kostenlose Dienstleistungen. Gerade für Entwicklungsländer ist das Maß unperfekt, weil dort das Ausmaß der Subsistenzwirtschaft hoch ist und diese, wie alle Teile der Schattenwirtschaft, nicht mit erfasst wird (das gleiche Problem weisen in diesen Ländern auch die Arbeitslosen-Statistiken auf). Dies bedeutet, dass das BIP schlecht dazu geeignet ist, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes zu messen, es misst genau genommen nur die durch Steuern und Abgaben erreichbaren Teile der wirtschaftlichen Leistung. Denn was nicht bezahlt wird, wird auch nicht besteuert.

Trotz dieser Schwächen ist das Bruttoinlandsprodukt als Maß wichtig. Einerseits weil es umfassend ist, andererseits weil wir kein besseres haben, das sich trivial erheben ließe (nicht dass die BIP-Erhebung wirklich in der Praxis trivial wäre, aber sie ist zumindest möglich). Und vor allem, weil es international und über die Zeit vergleichbar ist. Niemand behauptet, das BIP sollte die einzige Zielgröße sein, es ist hierzu weder gedacht noch geeignet. Aber ohne die Erhebung des BIP stünde der Staat auch ohne Planungsmöglichkeiten dar – das genügt vermutlich schon als Legitimation.

 

*Dies übrigens eine der Schwächen des zugehörigen Wikipedia-Artikels, den ich hier aus gutem Grund nicht verlinke, weil er wirklich extrem unsauber und wenig neutral geschrieben ist, hier findet sich eine Grafik die die Länder nach dem BIP vergleicht: Und huch, Überraschung, die USA produzieren ja viel mehr als Luxemburg, WER HÄTTE DAS GEDACHT?!

** Wikipedia-Artikel-Schwäche Nr. 2: Niemand behauptet, das BIP diene der Wohlfahrtsmessung, dennoch zählt der Artikel unter ‚Alternative Maße‘ drölfzig Maße auf, die versuchen Wohlfahrt zu messen sowie einige, die versuchen, die Funktionalität von Staaten zu messen.

 

Flexible Ausgestaltung der Arbeit – ein paar Überlegungen

Ich bin derzeit im Mutterschutz und meine Arbeitgeberin sucht eine Vertretung für meine Elternzeit. Aufgrund verschiedener Umstände ist sie damit eher spät dran, so dass ich höchstens 10 Monate von 12 (inkl Mutterschutz) vertreten werden werde. Das ist für alle Beteiligten sehr ärgerlich, weil ich mein Aufgabengebiet weitgehend allein bearbeite. Somit bleibt derzeit Arbeit liegen und meine Vertretung wird sich ohne meine Unterstützung einarbeiten müssen. Ich habe ein bisschen gegrübelt, wie sich das hätte verhindern lassen können und bin darüber zu Überlegungen zur Gestaltung von modernen Arbeitsplätzen ganz allgemein gekommen:

Viele Elternteile, Väter wie Mütter, sehen sich heute in der Situation, das sie gern weiter einem verantwortlichen Job nachgehen würden, auch wenn sie – kleine – Kinder haben, ihnen aber recht klar gesagt wird: in Teilzeit geht das nicht. Ich kenne Menschen, bei denen selbst eine Reduktion auf 80% der Arbeitszeit dazu geführt hätte, dass ihnen Führungsverantwortung wieder entzogen worden wäre. Mütter werden oft -widerrechtlich – vor die Wahl gestellt 50% in einer weniger interessanten Aufgabe oder 100% im alten Job. Andere Lösungen wie etwa 65 oder 75% stehen nicht zur Debatte. Auch eine Elternzeit von mehr als zwei Monaten gilt in vielen Fällen als Garant für Nachteile im Job im Nachgang. Nachteile, die Frauen mehrheitlich dann in Kauf nehmen und die Männer mehrheitlich dazu zu bewegen scheinen, dann eben nur kurz in Elternzeit zu gehen.

Das Bedürfnis, die Wochenarbeitszeit zu reduzieren oder längere Auszeiten nehmen zu können ist aber keinesfalls auf Eltern beschränkt. Eine moderne Arbeitsumgebung sollte jeder/m Arbeitnehmer/in möglich machen, selbst Herr/in über seine/ihre Aufteilung von Arbeit und Freizeit zu sein. 

Die absehbare stärkere Automatisierung und zunehmende Digitalisierung legt außerdem nahe, dass wir zukünftig eher ein Überangebot an Arbeitskraft haben werden und dass die Arbeit noch weniger als bisher zwangsläufig ab einer festen Arbeitsstätte wird stattfinden müssen. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes würde also auch im Sinne der Arbeitgeber und des gesellschaftlichen Friedens sein.

Wie aber sollte das vonstatten gehen, wenn ja offenbar der/die einzelne so unverzichtbar ist  oder die Arbeitsabläufe so unflexibel, dass außer den Varianten „Mehr als Vollzeit, am besten immer am festen Arbeitsplatz“ und „50% an 5 Tagen a 4 Stunden und nur bei Zuarbeit, keinesfalls mit Verantwortung“ keine Ausgestaltung denkbar ist? 

Ich glaube, das Problem hängt viel damit zusammen, wie wir Arbeit und Aufgaben organisieren. Denn tatsächlich, dass ich jetzt nicht im Büro bin führt dazu, dass meine Arbeit nicht gemacht wird. Dass ich in einen Job mit Verantwortung werde zurückkehren können, auch in Teilzeit, habe ich dem Umstand zu verdanken, dass ich im öffentlichen Dienst tätig bin und dass meine Vorgesetzten mich außerordentlich zu schätzen wissen. Ich kenne auch im direkten Umfeld im öffentlichen Dienst Frauen, denen nach der Rückkehr aus der Elternzeit eine zugesagte Beförderung versagt wurde, selbst bei Rückkehr in 100%. Auch bei meinem Mann wird die Elternzeit dazu führen, dass seine Arbeit nicht adäquat fortgeführt werden wird. Für uns beide wird das bedeuten, dass wir einerseits in der Elternzeit nicht 100% raus sein werden, sondern mal schnell Mails checken, ein kurzes Telefonat und ähnliches werden vermutlich sein müssen, um unser „Hoheitswissen“ abzurufen. 

Wie könnte das besser laufen?

Ich denke, wir müssen Arbeitsplätze und Aufgabengebiete flexibler, komplementärer, weniger monolithisch sehen. Als ich meine Stelle angetreten bin, war sie mit 100% ausgeschrieben und wurde mit mir zu 75% besetzt. Obwohl ich angeboten hatte, sie auch 50-50 mit einer zweiten Person zu teilen. Es war meiner Arbeitgeberin lieber, dass ich in 30 Stunden die Arbeit von 40 Stunden mache als die Aufgaben sinnvoll auf zwei Arbeitsplätze zu verteilen, die sich ergänzen. Das führte natürlich zu erheblichem Stress für mich und gleichzeitig dazu, dass jetzt eben auch eine Lücke entsteht, die so nicht da wäre, wären wir zu zweit. Das Gedankenspiel funktioniert aber auch für 100% Stellen. Wenn ein Mitarbeiter mit einem speziellen Aufgabengebiet aufgrund von Elternzeit, Krankheit, Sabbatical ausfällt, ist seine Arbeit vakant, eine Vertretung muss mühsam eingearbeitet werden, der Übergang ist ruckelig, ein Wiedereinstieg nur unflexibel und in exakt den selben Konditionen oder gar nicht möglich. Weil wir Personen und Aufgabengebiete deckungsgleich denken. Person A macht Aufgabe X, Person B macht Aufgabe Y usw. Was wäre aber nun, hätten A und B gemeinsam X und Y verantwortet. Dann könnte einer von beiden die Vertretung des anderen problemlos einarbeiten und ggf auch kurzfristig vertreten. Das Wissen um beide Aufgaben wäre zumindest passiv verfügbar, es würde immernoch die zeitliche Kapazität, nicht jedoch das Know-How fehlen. 

Natürlich, es gäbe Abstimmungsbedarf. Das muss man einkalkulieren. Es müsste manchmal womöglich mehr gesprochen werden. Aber vielleicht gewinnt man so gleichzeitig auch verschiedene Perspektiven auf ein Problem, entdeckt evtl. Fehler früher. Und womöglich, wie krass wäre das denn, hätte man gleich zwei motivierte und engagierte Mitarbeitende. 

Kann man ja mal drüber nachdenken. Meine Arbeitgeberin wird das müssen. Denn ich kehre zunächst mit 50% zurück, in ein dann womöglich sogar gewachsenes Aufgabengebiet, mit (Personal-)Verantwortung in dem ich glücklicherweise gut und schlecht zu ersetzen bin. Und ich teile das dann auch echt gern, allein machen will ich es aber nicht. Liegt dann halt an den Chefinnen und Chefs, ob sie mir eher eine/n Assistent/in oder eine/n Kollegin/en an die Seite stellen, nicht?

Arm und reich – wie unfair ist die Welt?

Wer mir auch auf twitter folgt, der mag schon bemerkt haben, dass ich nicht direkt Fan von Statistiken zur Ungleichverteilung insb. von der OXFAM-Studie bin. Das hat einerseits damit zu tun, dass ich die Studie für methodisch fragwürdig halte. Die Messung von Vermögen ist relativ schwierig. Aber es gibt auch inhaltlich Kritik. Ich finde es sehr wichtig, ein Gefühl dafür zu haben, wie ungleich sich die ökonomischen Ausstattungen auf die Menschen verteilen. Mich stören allerdings oft die Argumente, die damit verbunden werden. Es fängt schon damit an, dass Einkommensungleichheit und Vermögensungleichheit quasi austauschbar genutzt werden. Die OXFAM-Studie z.B. erfasst Vermögen, und dies wäre, dem Titel nach auch der Auftrag eines Armuts- und Reichtumsberichts, dieser erfasst allerdings auf der Reichtumsseite vor allem Einkommen (weil Vermögen halt total schwer zu messen sind). Überhaupt wird Ungleichheit oft mit Einkommen argumentiert, bspw. das viel gerühmte Maß, wieviele Jahre ein Arbeiter arbeiten müsste für ein Managergehalt. Das ist natürlich beeindruckend, wenn da eine Zahl jenseits der 3000 steht – allein es sagt relativ wenig darüber ob der Arbeiter arm oder der Manager reich ist – denn Reichtum und Armut sind Bestandsmaße, die sich an Vermögen/Schulden, nicht an Einkommen messen, das eine Flussgröße darstellt.

Begriffliches Fachchinesisch mag man da einwenden, wenn der Manager 3000 mal mehr verdient als der Arbeiter ist das ungerecht, fertig. Und wenn die reichsten 10 Leute soviel besitzen wie die ärmsten 10 Millionen (Zahlen hier aus der Luft gegriffen) dann ist das auch ungerecht. Ja. Ist es. Aber das Zitieren solcher riesigen Unterschiede läuft vollkommen am eigentlichen Problem vorbei, in meinen Augen trägt es sogar dazu bei, dass die Gesellschaft sich nicht einer gerechteren Verteilung verpflichtet sieht. Und das ist mein Haupt-Kritikpunkt an der OXFAM-Studie und allen methodisch ähnlich gelagerten. Indem die Ungleichverteilung auf den Vergleich Superreiche gegen Superarme zugespitzt wird, indem die Einkommen des Top-Perzentils oder sogar der Top 0,1% mit denen des untersten Dezils o.ä. verglichen werden, werden all diejenigen aus der Verantwortung entlassen, denen es – nach allen Maßstäben des Wohlstands – auch ziemlich gut geht. Uns. Uns westlichen Mittelschicht-Akademikern in prinzipieller materieller Sorglosigkeit. Denn wenn es ja die Superreichen sind, die schon den ganzen Kuchen für sich haben, dann muss ich ja nix abgeben, oder? Nur sehr selten wird berichtet, wo genau die Armutslinie und das Medianeinkommen denn so liegen. Da würde sich manch einer doch wundern, dass er/sie schon deutlich über Medianeinkommen verdient, wo er/sie doch höchstens untere Mittelschicht ist und überhaupt man hört doch, gerade der Mittelschicht gehe es ja schlecht, die stehe ja kurz vor der Ausrottung. Nein! Es geht uns gut. Uns Mittelschicht im innerdeutschen Vergleich, uns Deutschen im europäischen Vergleich, uns Europäern im weltweiten Vergleich. Nicht nur die Donald Trumps, Bill Gates, Gebrüder Aldi und Spitzensportler profitieren von der Armut der Ärmsten, sondern wir alle. Es mag sein, dass die Einkommensverteilung derzeit innerhalb der Industrienationen latent ungleicher wird. Aber sie ist immernoch recht komfortabel fair im Vergleich mit der Einkommensverteilung in der Welt und mit der, der unsere eigenen Vorfahren ausgesetzt waren.

Daher: ein kurzer Blick in die Geschichte und die Welt.

Einkommens- und Vermögensungleichheit war immer ein Teil der menschlichen Gesellschaften seit wir sesshaft geworden sind. Das hat einerseits damit zu tun, dass wir quasi schon immer das Erben als Instrument der Vermögensweitergabe kannten, das fast automatisch zu einer Akkumulation des Reichtums in einer kleinen Elite führt und dass das ökonomische Schaffen schon immer auf der Bereitstellung von nicht nur Arbeit sondern auch Kapital beruhte und Kapital knapper war und ist als Arbeit. (Hierzu empfehlenswert die Folgen zur Entstehung des Kapitalismus beim Podcast „Kapitalismus mal anders“). Die Akkumulation von Reichtum unter Ausbeutung der Ärmsten war sowohl in den frühen Hochkulturen als auch im Mittelalter allgegenwärtig. Dabei war das römische Reich latent etwas fairer als sowohl Ägypten als auch das europäische Mittelalter, allerdings nur insofern als es eine gewisse Grundsicherung durch Nahrungszuweisungen gibt und als die meisten „Daten“ zu Vermögen im römischen Reich nur römische Bürger erfassen und die Ärmsten der römischen Gesellschaft natürlich Sklaven ohne Bürgerrechte waren. Ansonsten galt in Rom wie im mittelalterlichen England: eine verschwindend kleine Elite besaß alles und der Rest besaß nichts. Eine Tendenz zu etwas mehr Gleichverteilung ließ sich erst mit Etablierung eines Bürgertums erkennen, allerdings war es auch hier noch so, dass die bürgerliche Schicht klein und die bäuerliche Schicht riesig war, was sich nahtlos in die Industrialisierung übertrug. Nun war halt der Reichtum nicht mehr auf Adel und Klerus sondern auf Großindustrielle konzentriert und wuchs im Wesentlichen auf Kosten der Arbeiter anstatt, wie bisher, auf Kosten der Bauern. Aus Vermögenssicht entspricht dies sogar einer Verschlechterung der Verteilung, da in der vorindustriellen Zeit freie Bauern zwar wenig Einkommen generierten, aber zumindest Besitzer der eigenen Produktionsmittel waren, während die Industrialisierung dazu führte, dass Arbeiter nur noch ihre Arbeitskraft nicht jedoch auch das Kapital besaßen, das in Gänze in Händen weniger lag.

Auftritt: Gewerkschaften. Erst mit Entstehung des Gewerkschaftswesens, der SPD und der Verbreitung sozialistischer Ideen wurde wieder eine Grundsicherung eingeführt (die es im römischen Reich schonmal in Ansätzen gab), es entstand die Idee der Absicherung für Einkommensausfälle und der Umverteilung mittels Steuern und Transfers. Und somit sehen wir: frühestens das zwanzigste Jahrhundert brachte uns erstmals eine als gerechter zu bezeichnende Verteilung von Vermögen und Einkommen. Wesentlich sogar erst die Nachkriegszeit, in der es einfach so verdammt gut lief, dass es leicht war, in großem Umfang umzuverteilen. Es gab nicht viele Rentner (die waren praktischerweise im Krieg gefallen oder so krank durch die Produktionsbedingungen, dass sie nur wenige Jahre der Rente erlebten), so dass aus moderaten Beiträgen eine auskömmliche Rente zu finanzieren war. Hohe Steuern konnten durchgesetzt werden, weil die Gewinne in den Jahren des Wirtschaftswunders sprudelten. Und die Sozialkassen schwammen im Geld, da nur wenige Arbeitslose zu versorgen waren (hohe Arbeitsnachfrage, geringe Erwerbsbeteiligung der Frauen).

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/7d/Lorenzkurve_Deutschland.jpg/640px-Lorenzkurve_Deutschland.jpg
Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lorenzkurve_Deutschland.jpg

Aber, auch der schönste Boom ist mal vorbei und entsprechend begann das Sozialsystem zu bröckeln, die Arbeitslosigkeit stieg, die Einkommen sanken. Das Ganze wurde natürlich verschärft dadurch, dass das Kapital sich produktivere Einsatzorte suchte und die Industrieproduktion sich nach Asien, Südamerika und in den geöffnete Ostblock verlagerte. Das hat nicht nur Job-Verluste nach sich gezogen, sondern auch bewirkt, dass der Zugriff auf das Kapital für den Staat sehr viel schwerer wurde und Instrumente wie Vermögenssteuer und Steuer auf Kapital weitgehend zahnlos wurden. Indes hat sich unser Lebensstandard durch diese Entwicklung keinesfalls verschlechtert. Das Pro-Kopf-Einkommen und der Pro-Kopf-Konsum liegen in Westdeutschland heute preisbereinigt um ca. das fünffache höher als in den 1950er Jahren. Auch in Ostdeutschland ist seit 1991 das Einkommen immerhin um etwa ein Fünftel angestiegen. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Lebenserwartung massiv angestiegen, auch die Kaufkraft der Einkommen ist heute viel höher. Für den gleichen Warenkorb, für den ein Arbeiter 1950 eine Stunde arbeiten musste, arbeitet ein Arbeiter 2008 nur noch 11 Minuten.

Allerdings flacht der positive Trend in der Einkommensentwicklung ab. Was vollkommen normal ist, kein Land kann auf ewig mit Raten von jenseits der 5% wachsen, denn wer soll denn all das produzierte kaufen? Wir haben nur 24 Stunden am Tag und durchschnittlich 80 Jahre an Lebenserwartung, um auch wieder zu konsumieren, was wir erwirtschaften. Solang Mangel an allem herrscht, wie nach dem Krieg, wächst die Nachfrage. Eine Gesellschaft, die schon alles hat, kann sich nicht selbst immer dicker füttern. Und die Auslandsnachfrage, die Deutschland ohnehin schon seit Jahrzehnten über Wasser hält, kommt auch irgendwann an ihre Grenzen.

Und damit kommen wir zum zweiten wichtigen Vergleich: es geht uns nicht nur historisch gut, sondern auch gemessen am Rest der Welt.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/57/2013_Gross_National_Income_GNI_per_capita_Purchasing_Power_Parity_PPP_per_World_Bank%2C_India_compared.svg/1024px-2013_Gross_National_Income_GNI_per_capita_Purchasing_Power_Parity_PPP_per_World_Bank%2C_India_compared.svg.png
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2013_Gross_National_Income_GNI_per_capita_Purchasing_Power_Parity_PPP_per_World_Bank,_India_compared.svg

Genau genommen leben wir vom Konsum des Rests der Welt und leisten uns unseren verschwenderischen Konsum aufgrund der geringen Einkommen im Rest der Welt. Schon im europäischen Vergleich sind wir zwar nicht – wie wir es bestimmt alle gern wären – die Spitzenreiter, aber belegen eine komfortable Position im oberen Drittel der Verteilung der Nettohaushaltseinkommen. In der Welt liegt wiederum Europa neben den USA an der Spitze und nach unten ist das ganze quasi offen ins Bodenlose. Die deutschen Einkommen sind außerdem gleicher verteilt als im Schnitt des Euroraums, im europäischen Vergleich liegen wir im Mittelfeld, das oberste Quintil der deutschen Einkommen ist etwa 4,5 mal so hoch wie das unterste Quintil, verglichen mit dem gerechtesten Land Norwegen, das ein Verhältnis von 3,2 aufweist und dem ungerechtesten Land Lettland, das ein Verhältnis von 7,3 hat. Ich möchte keinesfalls den Eindruck erwecken, dass es Armen in Deutschland zu gut gehe. Es ist bedenklich und erschreckend, dass in bestimmten Gruppen, ganz besonders unter den Alleinerziehenden das Armutsrisiko so hoch ist.

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/_Grafik/EinnahmenAusgaben_HHNettoeinkommenHaushaltstyp.png;jsessionid=7B2F34AC7B9AC9A9C26F6B4F6D53AD58.cae3?__blob=poster
Quelle: http://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/EinkommenEinnahmenAusgaben/EinkommenEinnahmenAusgaben.html

Allerdings bringt es auch hier nichts mit dem Finger auf die 1% Reichen zu zeigen. Viel eher muss man sich fragen, wie ein Sozial- und Steuersystem gestaltet sein sollte, um das Armutsrisiko zu senken. Und das bedeutet im Kontext der Alleinerziehenden vielleicht nicht steuerfinanzierte Transfers sondern gute flexible Betreuungsangebote, finanzierbarer Wohnraum, bessere Absicherung gegen Altersarmut. Und solche Umstrukturierungen müssten alle mittragen. Nicht nur die Superreichen.

Und was entsetzlich vielen, auch gebildeten, nicht bewusst ist, Armut ist aus ökonomischer Sicht ein relatives Konzept. Die Armutslinie orientiert sich am Medianeinkommen. In Deutschland gilt als arm, wer unter 40% des Medianeinkommens hat (das sind derzeit etwa 700€/Monat). Diese Art Armut zu messen ist auch vollkommen richtig. Allerdings mag dadurch in Vergessenheit geraten, dass ein armer Mensch in Deutschland pro Monat weit mehr Einkommen hat, als ein armer Mensch in Afrika (bspw. liegt die Armutsgrenze in Namibia derzeit bei 35€/Monat). Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, dass auch durchaus gebildete Menschen sehr überrascht reagieren, wenn sie z.B. bei einer Reise nach Afrika damit konfrontiert werden, wie wenig vergleichbar die Lebensverhältnisse z.B. der Mittelschicht dort und hier sind. Und ich finde, genau diese Unterschiede müssen wir uns vor Augen führen. Ein recht einprägsamer Weg, dies zu tun sind z.B. Fotoprojekte wie dieses, die durchschnittliche Familien rund um die Welt mit all ihrem Besitz zeigen. Denn da wird dann schnell deutlich, was Unterschiede im Lebensstandard bedeuten. Hat die Familie z.B. ein Fortbewegungsmittel? Gibt es Bücher? Spielsachen?

Und berücksichtigt man dann noch, dass wir von genau diesen Unterschieden massiv profitieren. Denn nur solang der Lebensstandard in Afrika derart niedrig ist, können wir tropische Früchte, Kakao und Kaffee zu erschwinglichen Preisen kaufen und dabei noch etliche Zwischenhandelsstufen mit alimentieren. Nur solang einer Familie in Bangladesh nur ein Fahrrad für alle zur Verfügung steht, können wir T-Shirts für 10€ kaufen und dabei der Verkäuferin Mindestlohn garantieren und dem Konzern einen satten Gewinn. Dass bei uns überhaupt jemand sich das immense Konsumlevel, die Verschwendung und die geplante Obsoleszenz von einem durchschnittlichen Einkommen leisten kann, liegt daran, dass für so gut wie keines seiner Konsumgüter ein Lohn gezahlt wurde, der hier auch nur erwähnenswert wäre.

Und das ist in meinen Augen wichtiger als die Frage das BIP wievieler kleiner Entwicklungsländer Bill Gates verdient oder Neymar als Ablöse wert ist. Denn mit dem Finger auf Superreiche zu zeigen ist so unendlich viel einfacher, als selbst seinen Konsum einzuschränken und dafür z.B. nur noch Fair Trade zu kaufen.

Schwarzarbeit in deutschen Haushalten – wiesu denn bluß?

Das IW hat vor zwei Wochen eine Studie zur Schwarzarbeit in deutschen Haushalten vorgelegt, die breit in der Presse rezipiert wurde (hier, hier, hier). Die Studie kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass mindestens 75% der Haushaltshilfen in Deutschland nicht angemeldet sind. Und das trotz relativ einfachem Anmeldeverfahren für haushaltsnahe Dienstleistungen, Absetzbarkeit und und und. Dadurch entgeht dem Staat sehr viel Geld. Relativ schwammig verbleibt die Studie zu den Gründen dieses Phänomens. Bzw. werden Gründe genannt, diese sind aber scheinbar teilweise nur gemutmaßt nicht erforscht worden: im Großen und ganzen sei das Beschäftigen einer nicht angemeldeten Putzhilfe quasi das schweizer Bankkonto des kleinen Mannes. Und der Staat müsse daran arbeiten, dass Schwarzarbeit nicht als Kavaliersdelikt gelte. Es gäbe gar kein Unrechtsbewusstsein. Ich habe insgesamt die eine oder andere Anfrage zur Methodik der Studie. Die Abschätzung des Anteils der schwarz Beschäftigten Haushaltshilfen wird geschätzt basierend auf der sehr großen Differenz zwischen den Angaben über „beschäftigen Sie eine Haushaltshilfe?“im sozioökonomischen Panel (SOEP) sowie der Zahl der Minijobber und regulär Beschäftigten in Privathaushalten aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Dies vernachlässigt in meinen Augen 1. dass eine als Minijobberin angemeldete Haushaltshilfe in mehreren Haushalten tätig sein kann und oft wird (bei Mindestlohn und 4 Std/Woche verdiente sie nämlich nur ca. 200€ in einem einzelnen Haushalt) – auch ist mir 2. undurchsichtig wie Selbstständige und Beschäftigte bei Putzdienstleistern hier berücksichtigt sind, denn diese Arbeiten ja sowohl in Privathaushalten als auch in Firmen und das wird sicher nicht disaggregiert erfasst. Des Weiteren werden alle folgenden Auswertungen zu Akzeptanz, Sonstigem Beschäftigungsstatus, Gründen usw. basierend auf einer europäischen Befragung ausgewertet. Die einerseits alle Branchen (also auch das erheblich Schwarzarbeits-durchsetztere Baugewerbe) und andererseits alle EU-Länder umfasst. Und so bin ich doch skeptisch, dass man davon so einfach auf die Situation der Haushaltshilfen rückschließen kann. Und schließlich: die Studie schreibt zwar viel über Gründe, die zitierte Datenlage ist aber dünn und stützt nur teilweise die genannten Gründe (kein Unrechtsbewusstsein, geringere Kosten).

Nun. Das mit dem Unrechtsbewusstsein mag stimmen. Ich bin dann doch auch hin und wieder erstaunt, dass man bspw. in einem Raum voll Lehrer etliche findet, die nichts dabei finden, ihre Putzfrau schwarz zu beschäftigen, obwohl sie selbst aus Steuergeldern finanziert werden. Allerdings wird in der Studie selbst eine Umfrage zitiert nach der mindestens 2/3 der Deutschen Schwarzarbeit im Haushalt für nicht tragbar halten.

Was mir am allerdeutlichsten fehlt und als einzige Möglichkeit erscheint, das Problem anzugehen und sinnvolle Politikempfehlungen abgeben zu können ist eine Befragung von Haushalten und Putzhilfen, die folgende Fragrn klärt:

– Hat der Haushalt versucht eine legale Putzhilfe zu finden?

– Geschieht die Nicht-Anmeldung auf Wunsch der Haushaltshilfe oder des Haushaltes?

– Hat die Haushaltshilfe mehr als einen Putzjob?

– Hat die Haushaltshilfe noch einen Hauptjob?

Denn bevor man mit Schweizer Bankkonten vergleicht, sollte man sich den Markt mal genauer anschauen. Ich habe natürlich auch keine Erhebung gemacht, aber mir scheint es so, dass es für die Kategorie „Haushaltshilfe abhängig beschäftigt im Privathaushalt“ eigentlich kaum Angebot gibt. Es gibt schwarz arbeitende Puttzfrauen, die einen Stundensatz von 10-12 € die Stunde nehmen aber selbst wenn man die Sozialversicherungskosten noch oben drauf legen würde nicht bereit wären, angemeldet zu arbeiten. Dann gibt es wenige selbstständig tätige Putzhilfen. Und Dienstleister, die 16-20€/Std plus Anfahrt nehmen, oft sehr stark fluktuierendes Personal schicken und diesem dann aber nur den Mindestlohn zahlen und somit einen ca. 100% Aufschlag auf das Gehalt der Putzfrau einstreichen. Ich kenne viele Familien die sehr intensiv versucht haben, eine Haushaltshilfe zu finden, die als Minijobberin arbeiten will und keine gefunden haben.

Warum nur wollen denn die Haushaltshilfen schwarz arbeiten? Dazu sagt die Studie wenig. Für Schwarzarbeit insgesamt wird angegeben: keinen anderen regulären Job gefunden, das machen doch alle so und es profitieren doch beide davon. Ich halte das nicht für trivial auf die Haushaltshilfen übertragbar. Vielmehr ist die Realität doch: die meisten gehen entweder zusätzlich zu einem Hauptjob oder zusätzlich zu einem anderen 400€ Job putzen. Und sie haben mehr als einen Haushalt als Arbeitgeber. Das bedeutet, entweder müssen sie jeden Monat akribisch darauf achten in Summe nicht über 400€ Verdienst zu kommen, oder falls Sie darüber kommen oder noch einen anderen 400€-Job haben, müssen sie die Einnahmen versteuern und dann eine Steuererklärung machen, um vermutlich einen großen Teil der Steuern zurückzubekommen. Wir reden hier aber von Menschen, die so wenig mit dem Geld über die Runden kommen, dass sie zusätzlich noch putzen gehen. Da wiegen die Argumente „bezahlter Urlaub“, „Unfallversicherung“ und „soziale Absicherung“ sehr viel weniger als der Euro direkt in der Tasche und kurz danach an der Supermarktkasse. Da ist die Aussicht auf  eine evtl. Steuerrückerstattung nach gemachter Steuererklärung exakt nichts wert wenn ab dem 20. das Geld zum Essen kaufen knapp wird. Und da ist das exakte Plänen der aufsummierten Monatseinnahmen vielleicht auch einfach schon zu viel. Da hilft wenig, dass es für Haushalte sehr einfach ist, eine Haushaltshilfe anzumelden und von der Steuer abzusetzen, wenn dieses Ansinnen einfach an der Realität der Haushaltshilfe vorbei geht. Und wer dann nicht doppelt so viel für einen Dienstleister zahlen will, der beißt halt in den sauren Apfel.

Was wäre in diesem Szenario also die Politikempfehlung? Dafür sorgen, dass man in der Regel von einem Job leben kann. Für Geringverdiener den zweiten Job unbürokratischer machen. Beratung zu Zweit- und Nebenjobs anbieten. Vermittlung anbieten.

 

Zwischenruf*: Leseempfehlung ZBW-Wirtschaftsthema-Reihe

Als ich gerade auf twitter das aktuelle „Wirtschaftsthema“ der ZBW weiterempfahl, fiel mir auf, dass ich die Reihe generell empfehlen könnte und dies tue ich hiermit:

Die Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften veröffentlicht im monatlichen Rhythmus eine Leseliste/kuratierte Materialsammlung zu aktuellen Wirtschaftsthemen auf ihrer Website. Dort werden dann zu gerade diskutierten wirtschaftlichen Themen ökonomische wissenschaftliche Beiträge zusammengestellt. Die Themen in letzter Zeit waren z.b. Bedingungsloses Grundeinkommen (Dez), Kinderarmut (Nov), Brexit (Juni) oder TTIP (April). Die Zusammenstellung umfasst meist ein breites Meinungsspektrum, die Mehrheit der Quellen sind Arbeitspapiere in deutscher Sprache, die frei zugänglich sind und das ganze wird gerahmt von einer kurzen Einführung und einer Tweet-Sammlung zum Thema (was jetzt meist nicht besonders erhellend ist, aber wohl dokumentieren soll, dass es sich tatsächlich um aktuell diskutierte Themen handelt.) Ich habe diese Materialsammlungen oft an Studierende empfohlen und möchte diese ausdrückliche Empfehlung auch hier weitergeben, denn man findet dort (noch ) gut lesbares aber eben nicht medial aufbereitetes Expertenwissen in einem Umfang den man dann nebenbei in dem einen Monat auch noch bewältigen kann.

Außerdem ist die zbw ganz generell eine tolle Einrichtung, die das studieren und forschen in den Wirtschaftswissenschaften ganz erheblich erleichtert und die eins der schönsten Bibliotheksgebäude an einer der schönsten Stellen von Deutschland hat.

*Die Kategorie „Zwischenruf“ ist hiermit neu geschaffen für kurze Texte, die mir schnell mal so einfallen und die nicht im Entwurfsordner verschimmeln sollen.

Leserinnen fragen, Milchmädchen antwortet: Globale Ungleichheit

Heute schon wieder eine Antwort auf eine Leserinnenfrage, diesmal von @Vrouwelin, die mich auf Twitter fragte, was ich vom neuen Buch von Anthony Atkinson halte, bzw. von einem DerFreitag-Artikel über das Buch. Ich antwortete auf Twitter, dass ich das Buch nicht gelesen hätte, es aber schwierig fände, die Umsetzbarkeit der Thesen für ein Land zu berechnen, wenn wir in einer globalisierten Welt leben. Ich ergänzte zudem, dass ich es immer etwas schwierig finde, wenn in westlichen Ländern davon die Rede ist, dass die Ungleichheit zugenommen habe, wobei außer acht gelassen würde, dass die weltweite Ungleichheit abgenommen hat. Meine These war wörtlich: „Ich habe auch immer Probleme damit, wenn steigende Ungleichheit für Industrieländer diagnostiziert wird ohne zu beachten, dass die gefühlt größere Gleichheit in den 60ern mit weltweit größerer Ungleichheit einher ging. Viele linke Ökonomen lassen Entwicklungsländer außer acht. Das ist fatal, falsch und heute auch (zum Glück) nicht mehr realitätskompatibel.“ @Vrouwelin bat mich daraufhin um Literaturtipps zum Thema und dem möchte ich hiermit nachkommen. Da das vermutlich noch mehr Leute interessiert hier auf dem Blog anstatt per Twitter-Mention.

Zunächst nochmal vorab: Ich hab das Buch von Atkinson nicht gelesen. Aber Atkinson ist prinzipiell ein Mann von ökonomischem Verstand und es kann sehr gut sein, dass was in dem Buch steht Hand und Fuß hat. Es gäbe ganz sicher Dinge, die mutige Politiker umsetzen könnten, um die Einkommensschere in den westlichen Industrieländern zu verringern. Allerdings schlägt Atkinson unter anderem eine deutliche Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. Ob das gerecht ist sei dahingestellt (denn zumindest in Deutschland zahlen nicht nur Millionäre den Spitzensteuersatz), vor allem aber ist es in meinen Augen nicht umsetzbar. Nicht in einem einzelnen Land innerhalb einer Welt, die deutlich geringere Kapitalverkehrsbeschränkungen hat als vor 25 Jahren und in der Steuerflucht nach wie vor mehr als einfach möglich ist. Das war mein Spontankritikpunkt. Mein Grund-Ablehnungsgefühl rührt aber viel mehr daher, dass ich halt im Herzen Entwicklungsökonomin bin. Und Atkinson ist eben Sozialstaats-Spezialist. Er betrachtet den bröckelnden Sozialstaat in Westeuropa, so wie Piketty das kapitalistische System in den Industriestaaten betrachtet. Und Atkinson argumentiert, so zumindest der Artikel im Freitag, den ich ansonsten reichlich unspezifisch finde, dass die Entsozialstaatlichung in den 1980er Jahren Fahrt aufgenommen habe und man zum Zustand davor zurückmüsse. Und da muss ich ganz klar sagen: Dass es bei uns in den 60er und 70er Jahren ziemlich wirtschaftlich rosig und gefühlt gerechter zuging, das lag nicht nur an der deutlich sozialeren Marktwirtschaft. Es lag auch daran, dass nur ein sehr viel kleinerer und homogenerer Teil der Welt am globalen Einkommen teilhatte. Dass heute die sog. Arbeiterjobs wegfallen und schlecht bezahlt werden hat ziemlich viel damit zu tun, dass diese Jobs jetzt in anderen Teilen der Welt dazu beitragen dort das Einkommen zu erhöhen. Dabei läuft nicht alles rosig, gar keine Frage. Dennoch haben heute viel mehr Staaten nennenswert an Handel und Produktion teil. Und das hat auch zu Verringerung der Armut geführt, nicht nur in China. Auch in Bangladesh, in der Türkei, in Rumänien und Südafrika. Es gibt Gewinner und Verlierer, die Details sind kompliziert. Aber es bleibt: Ein Teil dessen, was wir hier gefühlt verloren haben, das haben nicht die bösen Kapitalisten, sondern das haben die Armen der Welt, die jetzt etwas weniger arm sind. Natürlich, long way to go, reich ist dadurch in Bangladesh noch lang nicht jeder, aber es geht irgendwie aufwärts. Was stimmt ist, dass die Armen in den Industrieländern mehr abgegeben haben, als die Reichen (die haben nix abgegeben). Dies nur zur Einordnung meiner Reflexabwehrhaltung. Nun zu Hintergrund-Lesestoff zur Einkommensverteilung weltweit (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Die Diagnose,  dass die Ungleichheit in der Welt abgenommen hat, findet sich sehr akribisch belegt in diesem Aufsatz von Xavier Sala-i-Martin. Das Paper ist von 2002, die verwendeten Maße wurden aber für das vielfach neu aufgelegte Standardlehrbuch von Sala-i-Martin jeweils aktualisiert und bleiben, meiner Kenntnis nach, bis in die neuste Auflage von der Aussage her gleich.

Wer Zugriff zu wissenschaftlichem Content hinter hohen Paywalls (hier Wiley) hat, kann mit Hilfe dieser Datenbank auch selbst die Standardmaße für Ungleichheit über die Zeit berechnen und vergleichen.

Dass in den meisten westlichen Industriestaaten die Ungleichheit zugenommen hat, hat Atkinson sich natürlich nicht ausgedacht, das ist gut belegt, z.B. hier. Allerdings ist es auch hier kompliziert, denn die Heterogenität zwischen den Industrieländern ist dann doch erheblich.

Etwas weniger euphorisch (will sagen etwas weniger neoklassisch und wachstumsfokussiert) als Sala-i-Martin kommt auch dieser Aufsatz zu dem Schluss, dass zumindest einige Staaten im weltweiten Vergleich aufholen konnten, der Fokus hier liegt aber darauf, dass innerhalb der einzelnen Staaten und Regionen der Welt die Ungleichheit zunimmt.

Schauen wir auf Deutschland, zeigt dieser Artikel deutlich: Hier bei uns kann von einer steigenden Ungleichheit ab 1980 kaum die Rede sein, die deutsche Ungleichheit ist vorrangig in der Wiedervereinigung begründet.  Außerdem ist der Titel des Papers einfach so schön literarisch. Verbunden auch dieser Artikel, der Deutschland und die USA vergleicht.

Und wer nach all diesen Zahlen dann auch ein wenig die Gründe für Erfolg und Misserfolg in Sachen armutsreduzierendes Wachstum erlesen will, der könnte einen Blick in das ein oder andere Buch oder Paper von Daron Acemoglu werfen (insb. „Why nations fail“ sowie diesen kleinen feinen Seitenhieb gegen Thomas Piketty), die Fallstudien im Entwicklungsökonomik-Standardlehrbuch „Economic Development“ von Todaro/Smith lesen, oder „The Tyranny of Experts“ und „The Elusive Quest for Growth“ von William Easterly. Einen ganz kleinen Einstieg bietet z.B. auch dieser TEDx-Talk von James Robinson (dem Co-Autor von Acemoglu), der ein sehr guter Redner ist.

Hinweis: der Großteil der verlinkten Quellen ist auf englisch, das tut mir leid, denn ich versuche sonst deutsche Quellen zu verwenden, wenn möglich. Leider ist Entwicklungsökonomik aber ein Feld, das in Deutschland nahezu unsichtbar ist, die Bücher sind allerdings z.T. auch in deutscher Übersetzung erschienen. Leider befindet sich ein Großteil der Paper hinter den Paywalls von Wissenschaftsverlagen, wo ich konnte, habe ich Working Paper Versionen verlinkt, mit etwas googlen finden sich solche vielleicht auch noch für die anderen Paper.

 

Randnotiz der Woche: Gender-Renten-Gap-Kompensation in der Schweiz

Die Schweiz wird in Zukunft die aus dem unerklärten Teil des Gender Pay Gaps sich ergebende Rentenlücke von Frauen aus Steuermitteln kompensieren. Diese Nachricht erfuhr ich nicht in irgendeinem Wirtschaftsteil irgendeiner Zeitung. Sondern in diesem Artikel in Ökonomenstimme.  

Der Artikel selbst hat bei mir für eine gepflegte Portion Wut gesorgt. Die Argumentation „jaaaa, der unerklärte Teil lässt sich ja auf sozioökonomische Faktoren und spezifische Berufs-Erfahrung zurückführen“ ändert ja nix daran, dass offenbar genau die sozioökonomischen Faktoren nachteilig sind, die vor allem Frauen treffen. Und dass Frauen im Mittel weniger Jahre Berufserfahrung mitbringen liegt ja auch nicht daran, dass sie Frauen sind, sondern dass sie Care-Aufgaben übernommen haben oder aufgrund gesellschaftlicher Strukturen, die sich in steuerlichen Anreizen niedergeschlagen haben zugunsten der „Karriere“ ihres Mannes auf Vollzeit-Berufstätigkeit verzichtet haben. 
Und während es bei den heute Berufstätigen natürlich besser wäre das Steuersystem so zu gestalten, dass sich eine äquivalente Verteilung der gemeinsamen Arbeitszeit zwischen den Ehepartnern lohnt und auf eine Veränderung der Gesellschaftsstruktur hinzuwirken, so dass Care-Aufgaben nicht per default Frauen-Aufgaben sind und dass eine erfolgreiche Berufskarriere nicht impliziert, dass ein/e Partner/in „den Rücken frei hält“, so ist das für heutige Rentnerinnen eben keine Option mehr. 
Über Details der Kompensation in der Rente kann da gestritten werden und auch in welchen Fällen eine Kompensation sinnvoll ist, weil der Lohnausfall aufgrund einer gesellschaftlich wünschenswerten Aufgabe da ist. Aber die Lohnlücke, auch die unerklärte, zu nivellieren indem man sagt “ ja die haben halt einfach weniger gearbeitet“ ist etwa so durchdacht wie zu sagen „nein, Krankheiten braucht man nicht behandeln, wenn man weiß welcher Erreger sie auslöst“.