Gibt es weibliche Ökonomie?

Schon seit der Existenz dieses Blogs umkreise ich die Frage, ob ich wohl mal etwas über feministische Ökonomik schreiben sollte. Ich bin in dem Thema extrem gespalten und scheue auch ein wenig das dünne Eis. Allerdings tauchen immer wieder so kleine Anlässe auf, die ich nicht einfach wegignorieren will. So zum Beispiel ganz akut die vorletzte Folge des Lila-Podcast in der die Frage anklang, ob eine höhere Repräsentanz von Frauen in Führungsposition auch einen weiblicheren Führungsstil mit sich bringt. (Personal note: I doubt)

Wie ist das also mit den Frauen und der Ökonomie? Machen wir der Einfachheit halber eine Unterteilung in zwei Felder: 1. Die Berücksichtigung von Frauen/Feminismus in der ökonomischen Theorie sowie 2. die Rolle von Frauen in der Ausgestaltung des Wirtschaftslebens  – auch wenn beide Felder nicht ganz klar zu trennen sind.

Man liest im Allgemeinen in Wirtschaftsmedien, Wirtschaftsblogs, Wirtschaftszeitungen usw. wenig über und wenig von Frauen. Viele Ökonominnen finden auch, man lese in wirtschaftswissenschaftlicher Fachliteratur zu wenig über Frauen. Ohnehin liest man in wirtschaftswissenschaftlicher Fachliteratur zu wenig von Frauen, da Frauen unter den Spitzenforschern des Gebietes eher selten sind. Es gibt z.B. noch weniger Frauen, die einen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen haben, als in Physik. (Fairerweise sei dazugesagt, dass der Preis in Physik schon erheblich länger vergeben wird als der in Wirtschaft) Es ist also klar, dass die Stimme von Frauen nicht unbedingt prägend in die ökonomische Theorie und ökonomische Analyse eingegangen ist. Dieser Umstand wird in schöner Regelmäßigkeit auch von namhaften Ökonomen kritisiert (bspw. hat der Entwicklungsökonom Owen Barder die Initiative #nomaleonlypanels ins Leben gerufen, die männliche Wissenschaftler dazu auffordert ein Versprechen abzulegen, nicht in reinen Männerpodien zu sprechen und der sich mittlerweile über 1000 Wissenschaftler angeschlossen haben.) Dennoch ist hier noch viel zu tun, denn z.B. der Weltbank stand bisher, ebenso wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, der EZB und der Bundesbank noch nie eine Frau vor. Und dass Deutschland im Jahr 2017 erstmals eine Wirtschaftsministerin hat, die auch mehr so aus Verlegenheit ins Amt kam, das ist jetzt auch nicht gerade ruhmreich.

Eine Variante dieses Kritikpunktes wird auch aus der Strömung der sog. feministischen Ökonomik (Link zu Wikipedia, englischsprachig) vorgebracht. Die feministische Ökonomik als tatsächliche Bewegung gibt es vor allem im englischsprachigen Raum. Feministische Ökonomik beschreibt sich selbst als Untergruppierung der sog. heterodoxen Ökonomie und positioniert sich deutlich in Gegensatz zum akademischen Mainstream der Zunft. Die feministische Ökonomik vertritt den Standpunkt, dass die Unterrepräsentanz von Frauen in der ökonomischen Zunft auch zu einer Vernachlässigung weiblicher Sichtweisen und Themen in der ökonomischen Theorie geführt hat. Das Selbstverständnis der feministischen Ökonomik lässt sich sehr schön aus diesem Artikel in der SZ herauslesen. Und gleichzeitig zeigt auch dieser Artikel schon gut auf, welche Bauchschmerzen ich im Bezug auf die feministische Ökonomik habe: Argumente wie „Und wer hat eigentlich Adam Smith den Haushalt gemacht?“ vernachlässigen den wirtschaftshistorischen Hintergrund der Entstehung ökonomischer Theorie und sind daher für mich nur Scheinargumente. (Zudem deutet dieses spezielle Argument auch deutlich auf eine mangelnde Auseinandersetzung mit Adam Smiths Werk hin, denn er hat sich keinesfalls nur mit Produktivität und Kostenrationalisierung beschäftigt, ein Großteil seiner (übrigens auch eher sozialphilosophischen als ökonomischen) Gedanken beschäftigt sich mit der Interaktion von Individuen in der Gesellschaft, der Familie, den Netzwerken, denen ein Mensch angehört und der moralischen Seite des ökonomischen Handelns.) Auch kann die Tatsache, dass es keine Massen von Lehrstühlen und Publikationen speziell für feministische Ökonomik gibt, noch nicht als Indiz gewertet werden, dass keine Auseinandersetzung mit den Themen geschieht. Ich allein kenne persönlich mehrere Ökonominnen und Ökonomen, die sich mit ganz originär solchen Themen in ihrer Forschung beschäftigen, wie etwa die Auswirkung des Familienstatus auf die Gesundheit von Männern und Frauen, die Verteilung der Hoheit über Geld zwischen Mann und Frau im Haushalt oder die Bedeutung des Bildungsabschlusses der Mutter für den sozio-ökonomischen Erfolg der Kinder, auch die Entscheidung über Fertilität und die ökonomischen Auswirkungen sind wirklich breit erforscht. Nur würde niemand dieser Forscherinnen und Forscher sich als feministische/r Ökonom/in verstehen oder selbst vorstellen. Diese Menschen ordnen sich dem inhaltlichen Themenfeld zu, in dem sie arbeiten, also eben Gesundheitsökonomik, Wohlfahrtsökonomik, Bildungsökonomik, etc. Das heißt aber nicht, dass ihre Arbeiten die Frauen außer acht lassen. Gerade als Entwicklungsökonomin fühle ich mich von der These, die Rolle der Frau werde nicht ökonomisch erforscht ganz massiv böse angegangen. In der Entwicklungsökonomik wird schon seit mehr als 20 Jahren sehr intensiv gerade die Rolle der Frau für ökonomische Entwicklung beleuchtet. Die Differenzierung von Datensätzen nach Geschlecht ist Standard (übrigens auch in allen anderen Disziplinen, die mit Individualdaten arbeiten) und Entwicklungsökonomen werden nicht müde zu betonen, dass die Bildung, Alphabetisierung und ökonomische Stärkung von Frauen das entscheidende Moment für die Entwicklung ist. Man kann wirtschaftliche Entwicklung nicht ohne Teilhabe von Frauen denken und das tut auch niemand. Aber natürlich wird deshalb auch nicht jeder Entwicklungsökonom sich der Strömung der feministischen Ökonomik zuordnen. (Und das Journal for feminist economics würde übrigens all die erwähnten Arbeiten auch ablehnen, das aber nur mal am Rande). Und dann finde ich es außerdem grundfalsch, bestimmte Themen wie Pflege, unbezahlte Arbeit, demographische Fragen usw. als Themen der feministischen Ökonomik zu deklarieren und damit ja irgendwie auch als Frauenthemen. Damit tun wir uns doch keinen Gefallen, denn eigentlich wollen wir doch, dass diese Themen als Themen wahrgenommen werden, die alle angehen.

Zuletzt noch ein Wort über die unsägliche Diskussion zum BIP in dem Artikel: Ja, das BIP enthält nur zu einem sehr kleinen Anteil die geleistete unbezahlte Arbeit, und ja, diese Arbeit wird zu einem großen Teil von Frauen geleistet. Aber das BIP enthält auch haufenweise andere Dinge nicht. Schwarzarbeit z.B. Und kriminelle Tätigkeiten. Und nicht-materielle Werte wie Bildung. Das BIP ist einfach nur ein einzelnes und durchaus beschränktes Maß, niemand sagt, das BIP sei das nonplusultra, es ist aber halt das was man unkompliziert, auch bei schlechter Datenlage irgendwie erhoben kriegt. Deshalb wird es oft herangezogen. Das kann man kritisieren, und das wird auch kritisiert, aber ehrlich, da ist Diskriminierung mal zur Abwechslung nicht so sehr das Problem. Damit genug zu Frauen in der Ökonomik.

Nun zur Frage der Beteiligung von Frauen an der Gestaltung der Wirtschaft. Hier und dort hört man aus feministischen Kreisen die These, dass eine größere Rolle von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft zu einer Änderung der Funktionsweise der Wirtschaft an sich führen würde. Also dass Frauen anders führen, anders wirtschaften würden, als Männer. Und – das schwingt implizit mit – dass eine von Frauen geführte Wirtschaft besser, im Sinne von menschenfreundlicher, familienfreundlicher, weniger ellbogenlastig wäre. Well, I doubt. Ich finde es in hohem Maße wichtig, eine gleichwertige Beteiligung von Frauen in allen Ebenen der Gesellschaft zu erreichen. Es ist für mich selbstverständlich, dass die Führungsebene von Wirtschaft und Politik die Breite der Gesellschaft repräsentieren sollte. Dass also genausoviele Frauen wie Männer in die Politik und genausoviele Frauen wie Männer in die Führungsetagen von DAX-Konzernen und auf die Lehrstühle unserer Universitäten gehören. Es sollten aber übrigens auch relativ zum Anteil an der Gesellschaft Homosexuelle vertreten sein, und das ethnische Mischungsverhältnis einer Gesellschaft repräsentiert sein. Niemand sollte aufgrund seines Geschlechtes, seiner sexuellen Orientierung, seiner Religion oder der Herkunft seiner Familie davon ausgeschlossen sein, unsere Wirtschaft und Gesellschaft mitzuprägen. Das teile ich, voll und ganz. ABER. Ich denke nicht, dass eine Frau einen Dax-Konzern anders führen würde als ein Mann. Dass Brokerinnen die Finanzkrise weniger befeuert hätten, als es die Broker taten. Dass Frauen an der Spitze von Geheimdiensten keine bösen Verbrechen anordnen würden. Deshalb, weil jede Frau in einer Spitzenposition auch ein Produkt des jeweiligen Umfeldes ist. Soland DAX-Konzerne gewinnorientiert sind und im z.T. harten Wettbewerb mit anderen Unternehmen weltweit agieren, werden sich als erfolgreiche Leitungen solche Menschen erweisen, die eine gewisse Ellbogenmentalität beweisen. Solange das Finanzsystem vorrangig den schnellen Gewinn belohnt und keinen Anreiz schafft, nachhaltig zu denken, werde solche Menschen in diesem System arbeiten, die auf den schnellen Gewinn aus sind. Solang Geheimdienste die Drecksarbeit für die Regierung machen, werden Menschen beim Geheimdienst arbeiten, die nichts gegen schmutzige Hände haben. Und da ich keinesfalls unterstellen kann und möchte, dass Frauen nicht genauso gut egoistische Arschlöcher sein können wie Männer, kann ich nicht sehen, wie das Geschlecht allein da irgendwas besser machen sollte. Und die Frauen, die wir bisher in Führungspositionen sahen und sehen, wie etwa Christine Lagarde, Margaret Thatcher oder Sheryl Sandberg, bestätigen mich da eher in meiner Meinung.

Der Schlüssel zu einem faireren, gerechteren Wirtschaften liegt in meinen Augen darin, die richtigen Anreize zu setzen. Anreize die nachhaltiges Verhalten belohnen und kurzfristige Gewinnoptimierung bestrafen. Und wo das System das aus sich heraus scheinbar nicht hinkriegt, ist es die Aufgabe der Gesetzgebung dies zu tun sofern es gesellschaftlicher Konsens ist, dass das gewünscht ist. Und damit die Gesetzgebung das tut, müssen wir die richtigen Leute in die richtigen Positionen wählen. Und wenn es da keine richtigen Leute gibt, dann müssen wir es wohl selbst machen. Und zwar Männer und Frauen.

8 Gedanken zu “Gibt es weibliche Ökonomie?

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Als weibliche Wissenschaftlerin in Wirtschaftswissenschaften kann ich nur zustimmen. Eine Detailfragen allerdings: was ist mit Elinor Ostrom, Nobelpreisträgerin?

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  2. Der Blick nach Island ist in diesem Zusammenhang interessant. Die Finanzkrise 2008/2009 wurde nur von einem Finanzdienstleister unbeschadet überstanden – Audur Capital, gleichzeitig das einzige von Frauen geführte Unternehmen dieser Art, machte weiter Gewinne. Für den Staatsbankrott wurde allenthalben die „Machokultur“ im Bankenwesen verantwortlich gemacht, ein Kulturwechsel gefordert, die Führung der beiden größten Banken an Frauen übergeben, eine Frau und 5 weibliche Kabinettsmitglieder (von 11) in die Übergangsregierung gewählt. 8 Jahre später geht es allen wieder gut.

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    1. Ich halte Island zwar für ein beispielhaftes Land in Sachen Gleichberechtigung, aber dennoch gibt es mindestens drei genauso valide Erklärungsansätze für die isländische Erholung, die zudem auch ein wenig beschönigt dargestellt wird, und das Beispiel taugt maximal als anekdotische Evidenz.

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  3. Also ja, in Island wurde nach der Finanzkrise vieles richtig gemacht, aber man kann nicht sagen, ob es richtig gemacht wurde weil es von Frauen gemacht wurde oder z.b. weil der öffentliche Druck durch die Bevölkerung und das ‚hinschauen‘ viel größer war. Und ob die gleichen Lösungen auch innerhalb eines EU-Landes wie z.b. Irland funktioniert hätten.

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  4. Was ich nie verstanden habe:

    Da meinen Feministinnen, dass Produkte und Dienstleistungen falsch angeboten werden, weil der „weibliche Blick“ fehlt.

    Sie gründen aber trotz dieses Wissen keine Firmen, die dann die „verbesserten Produkte und Dienstleistungen wie Frauen sie eigentlich machen würden“ auf den Markt bringen (sogar noch mit günstigeren Mitarbeitern, wenn sie viele Frauen anstellen, dank angeblichen Gender Pay Gap).

    Warum gründen Feministinnen nicht massenhaft Firmen, mit denen sie den Markt – wenn sie ihren eigenen Theorien vertrauen – leicht erobern können?

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    1. Die Kritik richtet sich ja nun normalerweise gegen große Konzerne. Dass es auch andere Produkte gibt, steht außer Frage. Von daher sehe ich das nicht so. Es ist durchaus legitim, Produkte, die sich sinnlos Geschlechterrollenklischees bedienen scheiße zu finden, man muss deshalb nicht selbst andere anbieten, sondern kauft sie einfach nicht.
      Allerdings sehe ich nicht, was das mit meinem Post zu tun hat.

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  5. Ein sehr schöner Text! Danke.

    Zum Thema erfoglreichere Unternehmen haben Frauen in der Führungsetage:
    Ich für meinen Teil halte es für wahrscheinlicher, dass Firmen (Banken, etc.), die auf die tatsächliche Leistung und Sachkunde achten und diese fördern und beförndern (statt Deals auf dem Golfplatz oder im Stripclub abzuschließen), erfolgreicher sind. Und genau in solchen Firmen haben Frauen eine faire Chance gemäß ihres Könnens aufzusteigen, was dazu führen würde, dass Firmen mit Frauen in der Führungsetage erfolgreicher sind – nicht weil Frauen etwas besonderes mitbringen (beispielsweise fürsorglich, detailorientiert oder multitaskingfähig sind *augenroll*), sondern weil ein gewisser Anteil der Allerbesten ganz natürlicherweise Frauen sind.

    Was mich, als Wissenschaftlerin und Physikern, ein bisschen verwirrt, ist dass fast nie die Frage gestellt wird, ob es die „weibliche Sichtweise“ oder „weiblichen Führungsstil“ als solchen überhaupt gibt oder ob das nicht vielmehr (a) ein Produkt von weiblicher Sozialisierung, (b) confirmation bias und (c) eine Frage der Persönlichkeit ist. Die unterschiedliche Sozialisierung gibt es natürlich (noch), aber das ist doch auf jeden Fall ein Thema, dass Frauenrechtler angehen wollen – und damit dann den Vorteil, den Sie woanders proklamieren zunichte machen. Wenn es nun aber nicht Sozialisierung wäre, sondern etwas ganz echtes, biologisches, dass so für alle Frauen gilt und für alle Männer nicht gilt, dann wäre Ungleichbehandlung Tür und Tor geöffnet…

    Die „weiblichen Führungsqualitäten“ sind für mich nicht weit von Mutterschaftsmythen entfernt, von der guten Hausfrau, der fürsorglichen Mutter, davon 50% der Bevölkerung als homogene Masse zu sehen. Wo wir hinmüssten – meiner Meinung nach – ist jede Frau, jeden Mann als Individuum zu sehen. Selbst wenn der Durchschnitt der Frauen xy besser oder schlechter kann als der Durschschnitt der Männer, sind die individuellen Unterschiede in den meisten Gebieten so unglaublich viel größer, dass es einfach absurd ist individuelle Entscheidungen daraus ableiten zu wollen. Soll der Vorstandsposten von einer Frau oder einem Mann besetzt werden? Vielleicht sollte der Posten mit dem fähigsten Bewerber besetzt werden! Mir wäre es beispielsweise völlig schnuppe ob Männer vielleicht im Durschschnitt 5% besser sind in Physik als Frauen, als promovierte Physikerin bin ich qualifizierter in meinem Fach als ~99,7% der Bevölkerung mit Abitur.

    Das ist jetzt ein bisschen viel geworden und auch nicht 100% passend zu deinem Text – sorry! Aber das Thema liegt mir am Herzen… und deine undogmatische Herangehensweise (auch Frauen können egoistische Arschlöcher sein) ruft ganz viel Nicken hervor!

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